Musikjournalistin Julia im Interview

Bei GRRRLZ* TO THE FRONT spreche ich heute mit Julia, die bei verschiedenen kommerziellen und DIY-Magazinen schreibt. Für mich persönlich immer wieder spannend auch da mal einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können und zu hören, wie der Umgang mit FLINTA* Content dort läuft. Enjoy!

Hallo Julia, toll dass du dir die Zeit genommen hast mir hier ein paar Fragen zu beantworten. Genau wie vorher bei “Frauen im Musikbusiness” sollen auch hier nicht nur Musiker*innen zu Wort kommen, sondern auch Akteur*innen drum herum. Du schreibst für verschiedene Zines und gerade für mich ist es auch immer interessant Menschen zu befragen, die eben auch irgendwo über Musik schreiben. Erzähl doch mal kurz was du so wo schreibst und wie es dazu kam.

Hallo Chrissi, ich danke dir natürlich auch für deine Zeit und das Projekt! Angefangen hat meine Begeisterung für Musikjournalismus mit circa 12 Jahren beim ersten Spontankauf einer VISIONS, selbst tätig wurde ich dann aber erst mit 20 Jahren beim Online-Blog minutenmusik. Auf diesen war ich durch Instagram gestoßen und dachte, dass das meine Liebe fürs Schreiben und für die Musik perfekt vereinen würde.

Mittlerweile ist das Ganze ziemlich eskaliert: Ich teile mir bei minutenmusik mit 2 Kollegen die Chefredaktion, außerdem bin ich nach diversen Praktika als freie Autorin für VISIONS, Galore, Missy Magazine und den coolibri tätig.

Das ist auf jeden Fall ne Menge! Was machst du am liebsten und warum? Reviews schreiben, Interviews, etc…?

Mittlerweile definitiv Interviews! Reviews gehen mir mittlerweile leichter von der Hand, bei Interviews muss ich mich aber bewusst jedes Mal wieder tief mit den Künstler*innen auseinandersetzen und beim Gespräch selbst bin ich jedes Mal super aufgeregt. Aber so nah kommt man Musiker*innen sonst nie und es waren bis jetzt – glücklicherweise – durchweg tolle Erfahrungen.

Das sind ja sehr verschiedene Bereiche in Bezug auf die Kommerzialität, kannst du da Unterschiede feststellen, gerade wenn es um die Sichtbarmachung von FLINTA*s in der Musik geht? Wie schätzt du das ein?

Auf jeden Fall! Man darf natürlich nicht vergessen, dass es etwas komplett anderes ist, einen Blog aus Leidenschaft zu führen und ein kommerzielles Magazin zu leiten, von dem auch Existenzen abhängen. Ich denke, man muss bei letzterem definitiv auch mal Kompromisse für die Zielgruppe eingehen und die ist – gerade im Bereich Print und Rock – dann doch jenseits der 40, oftmals weiß und cis-männlich. Ich selbst kann das kaum nachvollziehen, aber Erfahrungen zeigen es dann doch: Ja, die Leute wollen wirklich das 500. Special zu Kurt Cobain lesen, statt neue junge Bands aus der Subkultur kennenzulernen.

FLINTA*s sind da definitiv deutlich unterrepräsentiert, das ist bei einem bewusst feministischen Magazin natürlich etwas komplett anderes. Hier erwarten die Leser*innen ja diese Repräsentation. Dennoch sehe ich bei allen Magazinen, für die ich schreibe, das Bestreben, diese Ungleichheiten zu verändern, was für mich auch mittlerweile ein Ausschlusskriterium dafür wäre, überhaupt für ein Magazin zu schreiben.

Und in den Redaktionen? Durch meine nun eigene Erfahrung bin ich irgendwie hellhörig geworden und frage gern mal nach, wie ausgeglichen das Geschlechterverhältnis in anderen Redaktionen ist und ob nicht genau das auch manchmal dazu beiträgt wie ausgewogen Inhalte ausgewählt werden – würdest du das bestätigen oder hast du da andere Erfahrungen gemacht?

Kann ich komplett bestätigen! Je diverser die Redaktion, desto diverser der Output! Und ich würde sogar noch weiter gehen: Desto diverser auch die Zielgruppe. Dass so viele Frauen und Queers mittlerweile das Interesse an Rock, Punk und Co verloren haben, liegt sicherlich auch an der fehlenden Repräsentation von FLINTAQ*s in großen Magazinen und bei Festival-Line-ups. Kein Wunder, dass diese scheinbar vor Testosteron strotzende Macho-Kultur, wie wir sie bei Rock am Ring erleben, wenig Anziehungskraft auf FLINTAQ*s hat. Männerbünde sind eben auch hier ein ernst zu nehmendes Thema und die großen Legenden, die immer wieder herausgeholt werden – meist ausschließlich weiße Cis-Männer.

Und so toll viele meiner männlichen Kollegen auch eingestellt sind, am Ende sind die Jahresbestenlisten und besuchten Konzerte oft doch reine Macker-Angelegenheiten. Phoebe Bridgers und Billie Eilish sind da zwei große Ausnahmen. Schön wäre es natürlich, wenn da mehr käme als rein performativer Feminismus.

Wie sieht es mit geschlechtergerechter Sprache aus? Das ist ja nun vor allem bei Print ein immer größeres Thema für ein Selbstverständnis und vor allem in der Umsetzung dann interessant. Wird das von allen getragen?

Der Weg war lang und steinig, aber ja: Ich darf (!) endlich bei allen Magazinen gendern und genau das tun Chefredaktion und die meisten Kolleg*innen auch. Ich glaube schon, dass es jetzt eben einfacher ist, wenn auch öffentliche Medien wie die Tagesschau die geschlechtergerechte Sprache verwenden und dadurch weniger Reibung mit den eigenen Leser*innen entsteht. Einige Medien – z.B. Missy – haben das Gendern ja sehr früh bewusst als Sichtbarmachung patriarchaler Machtstrukturen genutzt, mittlerweile sind Gendersternchen viel normaler – schön – und deswegen auch deutlich weniger revolutionär – schade. Deswegen, das ist natürlich klar, darf es hier auch nicht aufhören mit der Solidarität.

Fühlst du dich in deiner Arbeit als Redakteurin manchmal nicht ernst genommen, deinen männlichen Kollegen gegenüber irgendwie im Nachteil oder hast du vielleicht ganz andere Erfahrungen gemacht, die du hier teilen willst?

Obwohl ich weiß, dass ich damit absolut nicht die Norm und Realität weiblicher oder queerer Redakteur*innen abbilde, kann ich das so nicht bestätigen. Selbst in der fast ausschließlich von Männern besetzten Redaktion beim Visions wurde ich zu jedem Zeitpunkt gleichwertig zu männlichen Mitstreitern behandelt. Traurig genug, dass man das hier so positiv hervorheben muss. Das größte Lob geht aber an die männlichen Kollegen bei minutenmusik, die sich sehr früh über feministische Themen informiert haben und stets bewusst auch immer wieder die Bühne für meine weiblichen Kolleginnen und mich geräumt haben. Mit ihrem selbstkritischen und sensiblen Umgang mit diesem Themenkomplex fühle ich mich super wohl und weiß, dass das ernst gemeinte Allies sind.

Was denkst du sind die Gründe dafür, dass im Punk, HC, Metal usw. mehr Männer als FLINTA* auf der Bühne stehen? Ist die Berichterstattung nicht sogar Teil des Problems oder zumindest der Abbildung einer Realität, die sich so nie ändert? 

Das ist ein strukturelles Problem. Ob beim Booking, in Labels, sicherlich auch in Redaktionen oder bei den A&Rs – die Quote von FLINTAQ* ist überall lächerlich gering. Dadurch werden die patriarchalen Denkmuster und Narrative, die der Mainstream-Rock so in sich trägt, immer weiter reproduziert. Die queeren/weiblichen Akteur*innen müssen sich dann natürlich auch noch mit dem internalisierten Sexismus auseinandersetzen, um dann festzustellen: Nein, Männer machen nicht einfach bessere Musik und haben es deswegen so verdient. Das war auch bei mir ein ziemlich langer Prozess.

So sehr ich die Subkultur liebe und in kleinen Clubs mit anderen Feminist*innen und den passenden Bands gegen diese Zustände lärmen möchte, wünsche ich mir vor allem eins für die nächsten Jahre: Bands mit FLINTAQ*s als Headline-Acts bei großen deutschen Festivals.

Was war das letzte Konzert, das du vor Corona besucht hast?

Das war Tones and I in Köln, genau am letzten Wochenende, an dem das noch möglich war. Damals hatte ich die Gefahr der Pandemie noch gar nicht abschätzen können, ich weiß aber noch, dass uns gesagt wurde, wir „sollten auf uns aufpassen“. Wie auch immer man sich das damals vorgestellt hat. Das Konzert war aber wirklich wunderbar und die Lebensgeschichte der Musikerin ein wahrer DIY-Traum.

Hast du ein paar Projekte, Zines, Bands oder sonstiges, was du gern noch für die Leser*innen erwähnen und empfehlen willst?

Auf jeden Fall! Als Projekt liegt mir besonders Solidarity Not Silence, die sich gegen sexuelle Übergriffe in der Musikbranche engagieren und Geld für die Gerichtsprozesse Betroffener sammeln, am Herzen. Für viele Impulse, Inspirationen und historische Zusammenhänge kann ich wiederum den Sammelbad These Girls von Herausgeberin Juliane Streich empfehlen. Auch geeignet als Geschenk für Personen, die behaupten, Cis-Dudes wären die einzig wahren Virtuosen. Musikalisch möchte ich gerne Donna Leona und Dream Nails weiterempfehlen – Hits und Gesellschaftskritik vereint!

Danke dir für das Interview, Julia!