Julia von PRIMITIVE LIFE im Interview

Heute spreche ich im Interview mit Julia von der HC Band PRIMITIVE LIFE aus Berlin. Dabei geht es neben Julias persönlicher Geschichte und Inspiration zur Musik auch um Straight Edge und wie sich ein cleanes Konzert positiv auf sexistisches Verhalten auswirken könnte – oder eben auch nicht. Viel Spaß beim Lesen und bleibt dran!

Hallo Julia, cool, dass du Zeit hast hier mitzumachen! Ich habe im RUBBERXHEAD Fanzine #5 das Interview mit deiner Band Primitive Life gelesen und dachte mir, da muss ich gleich mal genauer nachhaken. Seit wann machst du Musik und wie hat das angefangen? Warst oder bist du noch in anderen Bands aktiv?

Hallo Chrissi, danke für die Einladung hier ein wenig was erzählen zu können. 

Ich mache Musik seitdem ich denken kann… irgendein Instrument habe ich irgendwie immer gelernt, erst in der Musikschule und dann auch autodidaktisch. Musik war mir schon immer sehr wichtig im Leben, es half und hilft mir oft mich besser zu verstehen und auszudrücken. 

Mit Bassspielen habe ich angefangen, da war ich 14 Jahre alt. Meine erste Band war dann Bitter Verses aus Senftenberg, zu den ich 2009 dazustieß. Ich bin sehr dankbar in den Menschen meine erste Band gefunden zu haben und mit ihnen die Möglichkeit gehabt zu haben viele tolle Konzerte zu spielen und neue Orte und Menschen kennenzulernen. 

2014 habe ich dann mit Johannes Primitive Life gegründet. Wir hatten in den ersten 2-3 Jahren einige Besetzungswechsel durch was Gitarre und Schlagzeug angeht, deswegen bin ich super glücklich, dass wir uns jetzt so gefunden haben und alle Bock haben viele Shows zu spielen und am liebsten die ganze Welt zu bereisen/betouren.

Für eine Weile hatte ich noch in einer deutschsprachigen Indie-Band gespielt. Zur Zeit bin ich aber ausschließlich bei Primitive Life aktiv.

Copyright: VPF Photography

Hattest du Vorbilder in Sachen HC Punk? 

Tatsächlich war Caro, die Sängerin meiner ersten Band Bitter Verses, eine Art Vorbild für mich. Als ich damals anfing in der Band zu spielen war ich 16 oder 17 und ich beschäftigte mich gerade viel mit Veganismus und Straight Edge, Werte nach denen auch sie lebt.

Wir haben damals am Anfang mal Walls of Jericho gecovert und später dann auch ein paar Konzerte mit denen zusammen gespielt. Sowohl Caro als auch Candace von WoJ sind starke Frauen, die mir gezeigt haben: FLINTA* müssen sich nicht verstecken und habe ihren berechtigten Platz im Hardcore und Punk. Ich denke gerade für junge Menschen ist es wichtig zu sehen, dass man ein gleichwertiger Teil der Subkultur ist und sich seinen Platz einfordern darf und muss.

Ja, die Zeit hat mich schon am meisten geprägt. Ansonsten nehme ich es mir immer zum Vorbild, mit der Musik auch Politisches zu transportieren. Hardcore Punk ist für mich immer politisch und davon nicht losgelöst zu betrachten. Mit Bands, die einfach nur bisschen ufta ufta Musik machen und über Freundschaft singen, ohne jegliche Kritik und Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Problemen geben mir einfach nichts.

Worum geht es in euren Songs? Welche Themen beschäftigen dich persönlich am meisten und woher kommt die Inspiration? 

Ich glaube man kann sagen, dass alles, was uns irgendwie beschäftigt in unseren Songs thematisiert werden kann. Also wir schränken uns da nicht ein im Sinne von „Veganismus und Straight Edge sind die Themen, um die es geht – und gut.“ … aber klar, das sind schon wichtige Themen für uns. Die Kritik an der Zerstörung der Erde und der Zusammenhang mit dem kapitalistischen System beschäftigt uns auf jeden Fall. In „Dead End“ geht es um das Große Ganze der Arbeit und seine strukturellen Schwachstellen, natürlich wieder eng verknüpft mit Kapitalismus. „Goose Step“ thematisiert Bullen und Polizeigewalt, die wir so oft in der Rigaer94/L34 mitbekommen haben. 

Ansonsten haben wir kein Bock auf das Patriarchat, Macker und Abtreibungsverbote. Sich da klar zu positionieren finde ich so wichtig, dass ich auch mal wieder selbst zum Stift greife.

Aktuell schreiben wir noch an der neuen Platte, also mal schauen, welche Themen es da alles so rauf schaffen. Psychische Gesundheit ist definitiv ein Thema, was uns in unterschiedlichen Anteilen gerade oder auch schon länger beschäftigt und sicherlich auch etwas Raum einnehmen wird.

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Hast du schon mal Probleme mit Mackerei gehabt? Auf Shows oder in der Szene? Hat dir schon mal jemand versucht zu erklären, wie du dein Instrument spielen sollst oder ähnliches?

Das mir nen Mann erklären wollte, wie ich Bass spielen soll oder ähnliches hab ich zum Glück bisher nicht erlebt. Aber Mackerei auf Konzerten kommt schon öfter vor. Von aufdringlichen, übergriffigen Typen beim Festival über Typen, die meinen „No clit in the pit“ sagen zu müssen, weil sie es nicht ertragen können das auch FLINTA* moshen können und wollen und Typen, die denken, du musst erstmal beweisen, dass du einen „Platz in der Szene“ haben kannst, weil du eine Frau oder nicht cis-männlich bist… es gibt echt einige Abgründe.

Wie kann man damit am besten umgehen?

Ich denke, man muss immer schauen, was die Situation hergibt; auf einen dummen Spruch zu reagieren und dem Typ zu zeigen, was für ein Mist er labert, ohne sich da auf eine Diskussion einzulassen, wäre mMn optimal, denn nur wenn wir so etwas nicht einfach still hinnehmen, kann sich etwas ändern. Es gibt aber sicherlich viele Situationen, in denen mensch sich nicht sicher fühlt und dann auch nicht der „Aufklärer-Rolle“ nachkommen muss, sich also nicht auf ein Gespräch mit dem Macker, in der Hoffnung seinen Kopf zurecht zu rücken, einlassen muss.

Generell hoffe ich, dass wir uns in die Richtung entwickeln, dass FLINTA* sich trauen den Bullshit anzusprechen und andere zu ermutigen das gleiche zu tun. Und an alle Typen: Weist eure Freunde in die Schranken, wenn die sich sexistisch/übergriffig äußern oder verhalten. Seid Allies.

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Thema Straight Edge: War das bei dir schon immer so? Wie und mit welcher Begründung trifft man eine solche Entscheidung?

Straight Edge zu leben war bei mir eine ganz bewusste Entscheidung. Ich hatte mit 14, 15 schon öfter Alkohol getrunken und dadurch auch die ein oder andere dumme Entscheidung getroffen. Als ich dann mitbekommen habe, dass es Menschen gibt, die ganz bewusst auf Alkohol und andere Drogen „verzichten“, war das erstmal etwas komplett Neues für mich. Ich setzte mich dann damit auseinander, was mir der Konsum gibt (und ob er mir überhaupt irgendwas gibt) und auch was für negative Auswirkungen (Alkohol-)Konsum auf meine Gesundheit – physisch wie psychisch – hat und von da war es dann ein ziemlich leichter und schlüssiger Schritt zu Straight Edge. Minor Threat haben mir da auch irgendwie aus dem Herzen gesungen.

Da ich selbst auch nicht mehr trinke oder Drogen nehme frage ich mich oft, warum es so schwer ist, ein Konzert zu organisieren, auf dem kein Alk ausgeschenkt wird. Was denkst du darüber? Könnten solche “clean concerts” vielleicht auch dazu führen, dass es weniger Übergriffe oder unangenehme Situationen für FLINTA* gibt? Nicht selten entstehen sexistische Verhaltensweisen auch bei zunehmendem Konsum…

Ich fänd es toll, wenn es mehr Räume und im speziellen Konzerte gäbe die „clean“ und auch wirklich ein Safe Space sind. 

Ich meine, davon würde so viele Menschen profitieren und ein wirklicher Nachteil für Leute, die eben gerne mal was konsumieren ist es auch nicht. Keinem wird ja der Konsum per se verboten, nur eben nicht dort, wo andere Menschen sind, die keinen Kontakt damit haben wollen.

Ich denke, dass „cleane“ Shows, dadurch dass es wahrscheinlich eher keine durch Drogen animierten Übergriffe gibt, schonmal grundsätzlich ein sichererer Ort für FLINTA* sind. Die Lösung aller Probleme ist es sicher nicht, leider gibt es auch Menschen, die ihr scheiß Verhalten nicht mal auf Alkohol oder Drogen schieben können und sich bei vollem Verstand sexistisch verhalten.

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Was war das letzte Konzert, das du vor Corona besucht hast?

Das letzte Konzert vor den Corona-Beschränkungen war Turnstile, Glitterer, Gag und One Step Closer im SO36 am 05.03.2020. Ich glaube, ich hatte da schon so ein Gefühl, dass es das letzte mal für einige Zeit sein könnte, dass man auf nem Konzert ist, dass es so lange dauern wird bis wieder mal was möglich ist, hätte ich damals aber wohl nicht gedacht. Wenigstens war es ein ziemlich tolles Konzert!

Hast du ein paar Projekte, Zines, Bands oder sonstiges, was du gern noch für die Leser*innen erwähnen und empfehlen willst?

Folgendes gerne mal auschecken:

Liebe Julia, vielen Dank für das interessante Interview!

Copyright Titelbild: Holding the Moment