Mia von Oi!ronie im Interview

And here we go! Ihr habt mich wieder am Hals – allerdings nicht mehr bei Vinylkeks, sondern jetzt hier bei der Bombe mit „Grrrlz* to the Front“. Lasst euch nicht rausbringen, die ersten hier veröffentlichten Interviews gingen noch für meine Reihe „Frauen im Musikbusiness“ beim Keks ein und werden nun aber an dieser Stelle fortgesetzt. Den Anfang machen wir gleich mit einem absoluten Kracher: Ich freue mich euch Mia von Oi!ronie vorstellen zu können. Viel Spaß mit dem Interview!

Hallo Mia, super, dass du Zeit hast und mir hier in der Interview-Reihe ein paar Fragen beantwortest. Ich habe schon lange nach einer Frau in einer Oipunk/Streetpunk Band gesucht, jetzt endlich fündig geworden. Erzähl mal, wie du so zur Musik gekommen bist, hast du vor Oi!ronie schon in anderen Bands gespielt?

Hallo Chrissi, erstmal danke für die Anfrage. Ich verfolge eure Reihe (ehemalige Vinylkeks-Interview-Reihe) und habe mich sehr gefreut jetzt Teil davon zu sein.

In meiner Schule habe ich wenig Anschluss gefunden. Ich kam aus einer weniger gut situierten Familie und konnte mit den Kids dort wenig anfangen. Durch glückliche Umstände lernte ich mit 13 Jahren dann ein paar Punx kennen und da war es um mich geschehen. Ich konnte schäbig aussehen, laut sein und politisch. Das fand ich klasse. Später kamen dann noch ein paar Skinheads dazu und die Liebe zur Oi!Musik war auch entfacht. Seit dem sind Konzerte und Festivals nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. Sonst würde ich leider sagen, dass ich eine klassische FLINTA*-Biografie in Sachen Musik habe. Ich kannte immer viele Leute (meistens Cis-Männer), die in Bands gespielt haben, habe selber viele Konzerte mitorganisiert und oft getönt, dass ich selber mal Sängerin in einer Band sein werde. Aber getraut habe ich mich nie wirklich.

Irgendwann bin ich mit zwei guten Freunden vom Endless Summer (Punk,Oi!, HC Festival) nach Hause gefahren und habe lauthals mitgesungen und die beiden meinten dann: Los wir gründen eine Band! Alleine hätte ich diesen Schritt nie gewagt und so entstand unsere Band Oi!ronie. Die ersten Versuche im Proberaum haben wir dann 2015 gewagt. Am Anfang fiel es mir sehr schwer laut zu singen und mich zu überwinden und auch jetzt ist es noch sehr aufregend für mich.

Ich habe dich auch bei „Punk, wir müssen reden – Online-Podiumsveranstaltung zu Sexismus im Punk“ gesehen und war schwer beeindruckt, wie viele Leute zugeschaut haben. Was denkst du über die aktuelle Debatte? Längst überfällig? Was ist deine Hoffnung, was daraus erwächst?

Ich denke, dass die Diskussion in der Punk Szene lange weggewischt und ignoriert wurde. Es wurde sich einfach darauf ausgeruht, dass es vermeintlich keine FLINTA* Personen gibt, die Lust haben in Bands aktiv zu sein oder noch schlimmer, dass es keine guten Bands mit FLINTA* Personen gibt. Ausreden wie „Wir schreiben mit ’solchen‘ Bands keine schwarzen Zahlen“ zeigen mir eher, dass Punk wirklich ein großes Problem hat. Ich glaube, dass die Szene leider so männlich dominiert ist, dass sich über die Jahre hinweg einfach Cis-Männer untereinander die Auftritte und Möglichkeiten zukommen lassen haben und das dass aufgebrochen werden sollte. Solange wie es Sexismus und Rassismus gibt, muss es Debatten geben. Daher bin ich sehr froh, dass es wieder ein vordergründiges Thema geworden ist. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Sensibilität in der Szene für Sexismus und Diskriminierung gibt. Bisher wird meiner Meinung nach viel zu oft weggesehen oder behauptet, es gäbe kein Problem. Dass vor allem Cis-Männer ihre Privilegien hinterfragen und davon zurück treten und es mehr Räume gibt, in denen sich FLINTA* Personen wohl und wohler fühlen. Ja und ich erhoffe mir Netzwerke, in denen sich FLINTA* Personen connecten und austauschen.

Copyright: Mike Auerbauch

Hast du persönliche Vorbilder in Sachen (Frauen)-(Oi)-Punkrock? Wen und warum? 

Leider muss ich sagen, nicht wirklich. Ich bin komplett an der Riot Grrrl Musik vorbeigeschrammt und mit DeutschPunk und Oi! groß geworden. Es gab immer mal wieder Bands mit FLINTA* Personen, die mir gefallen haben, aber ich war gar nicht sensibel dafür dieses Ungleichgewicht wahr zu nehmen. Eher im Gegenteil. Ich dachte, ich sei viel taffer und was besonderes, weil ich mich in einer Szene aufhalte, in der es deutlich mehr Cis-Männer gibt. Ich brauchte eine Zeit, um mich und diese Haltung zu reflektieren und zu merken, dass es mich nicht taffer und toller macht, sondern dass es ein Problem darstellt, dass die Räume, in denen ich mich aufhalte, ausgrenzend sind. Richtig bewusst ist mir das vor allem geworden, als ich quasi meine zugeschriebene Rolle verlassen habe und Teil einer Band wurde. Ich dachte, das würde wohlwollend und positiv bewertet werden, doch stattdessen wurde mir viel bewusster, wie hart es ist für FLINTA* Personen innerhalb der Szene.

Ich habe durch unsere Konzerte viele tolle Bands mit FLINTA* Personen kennen gelernt und dadurch meinen eigenen musikalischen Horizont deutlich erweitert. Das ist eine tolle Erfahrung. Ein zwei Bands waren ja auch schon bei dir im Interview.

Was denkst du sind die Gründe dafür, dass auf den Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen zu sehen sind?

Wenn ich von mir ausgehe würde ich sagen, Sozialisation. Ich wirke meist sehr sicher und bin oft ein sehr lauter Mensch, aber ich habe ständig diese Stimme in mir, die genau dieses Verhalten in Frage stellt: „Warst du wieder zu laut?! Oje, was die jetzt von mir denken?!!! Musste das jetzt wieder sein…??? Hab ich das jetzt richtig gemacht? Was hätte ich besser machen können…?“ und und und. Ich könnte tausende dieser Sätze schreiben. Ich habe einfach nicht das Selbstbewusstsein gehabt eine Band zu gründen und mich auf eine Bühne zu stellen. In meiner Welt müsste ich dafür seit 15 Jahren Musikunterricht genommen haben. Ich glaube, dass geht vielen FLINTA* Personen so. Während die Cis-Männer in meinem Umfeld sich einfach auf eine Bühne gestellt und losgelegt haben.

Ich versuche immer Cis-Männern in meinem Umfeld klar zu machen, dass es Angebote und Ermutigung braucht, dass es Räume braucht, die eine solidarische Stimmung verbreiten. Ich habe das Gefühl als FLINTA* Person auf der Bühne viel stärker bewertet zu werden. Sei es mein Äußeres, als auch mein „Können“. Ich muss mich immer viel stärker beweisen und das braucht Kraft und Support. Daran fehlt es meiner Meinung nach oft. Vielen Cis-Männern waren diese Ängste und Selbstzweifel völlig fremd, wenn ich mich mit ihnen darüber ausgetauscht habe.

Hast du als Musikerin schon mal negative Erfahrungen mit Sexismus oder Benachteiligung gemacht oder hat dir mal jemand versucht zu erklären, wie du in dein Mikro singen sollst? In meiner Vorstellung begegnet frau in Sachen Oi-Punk nochmal einem ganz anderen Publikum…?

Ja auf jeden Fall. Es gab viele Situationen. Ich werde oft dem Merch zugeordnet, wurde aus dem Backstage verwiesen, weil der ja nur für Bands sei, mir wurden ungefragt viele „Tipps“ gegeben, z.B. wie ich besser singen kann oder mich bewegen sollte. Den Jungs in unserer Band sind solche Sachen noch nicht passiert. Bisher werden wir seltener zu „klassischen“ Oi! Events eingeladen. Mir wurde da des Öfteren das Feedback gegeben, dass wir nicht Szene genug sind. Was auch immer das heißen mag. Ich glaube als Cis-Mann und weniger politisch wäre ich mit meiner Biografie ein Szenegott 😉

Wir haben einmal als Vorband von Hardskin gespielt. Wie ich finde eine großartige Band. An diesem Abend waren sehr viele Skinheads anwesend, das war schon eine interessante Stimmung, 45 Minuten kein Applaus, skeptische Blicke und verschränkte Arme. Aber im Gegenzug dazu hatten wir auch schon total tolle Konzerte mit wundervollen Oi!Bands, wie beispielsweise mit den Uppercuts aus Berlin (auch mal als komplette FLINTA* Oi! Band gestartet) oder Habour Rebels aus Hamburg. Es gab auch super viele Leute, die uns total supported haben und uns tolle Auftritte verschafft haben. Unser Publikum ist in den meisten Fällen echt lustig und sympathisch und die meisten Läden haben uns total freundlich empfangen. Also auch sehr viele tolle Erfahrungen und super interessante Leute konnte ich durch unsere Konzerte schon kennen lernen.

Copyright: Roger Buer

Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?

Logisch! Alles! Ich würde mich ganz klar als Feministin bezeichnen. Ich wünsche mir eine solidarische Gesellschaft und dazu gehört für mich auch ganz klar, dass es notwendig ist, Geschlechterrollen aufzubrechen und am besten abzuschaffen und wir einfach lieben und sein können wie wir es wollen.

Einmal selbst entscheiden: Was wäre für dich das perfekte Festival-Lineup?

Habe ich ja oben schon angefangen: Habour Rebels, Uppercuts, Habgier. Generell wünsche ich mir einfach diversere Bühnen und mehr Mischung aus alt und neu. Ich finde diesen „alle zwei Jahre wechseln sich die bekannten Bands Modus ab“ sehr lahm. Ich konnte eine Zeit lang die Lineups voraussagen, weil einfach immer die gleichen Bands eingeladen wurden. Ich glaube auf Dauer wird die Szene dann nur älter und weißer und männlicher. Aber ich habe keine Lust, dass Punk tot ist. Ich wünsche mir wieder mehr Mut beim Lineup und mehr Wut, statt Show, auf der Bühne. Das wäre toll.

Gibt es besondere Projekte, Bands, Labels, Kollektive oder sonst irgendwas, was du unseren Leser*innen empfehlen kannst? Willst du noch etwas loswerden, was bisher nicht zur Sprache kam?

Das Plastic Bomb und die Kampagne #PunkToo. Die Plastic Bomb ist ein Punk Fanzine. Mit vielen unterschiedlichen Bands und politischem Anspruch. So wie ich mir Punk vorstelle. An dieser Stelle Danke an Ronja und ihr Engagement! Ich finde die Reihe sonst total divers und es ist wirklich toll zu sehen, was für klasse FLINTA* Personen für wahnsinnig coole Projekte starten. Ich würde sagen, dass diese Reihe einen tollen Überblick darüber bietet.

Vielen Dank dir für das Interview, Mia!

Copyright Titelbild: Mike Auerbauch