Liv Kristine im Interview

Auch heute gibt es noch ein ehemals für Vinylkeks angefragtes Interview bei GRRRLZ* TO THE FRONT. Gothrock und Metalqueen Liv Kristine erzählt über ihren persönlichen Weg zum Gesang bei Theatre of Tragedy, das Tourleben und ihre Erfahrungen im Business.

Hallo Liv Kristine, ich freue mich sehr, dich in meiner Interview-Reihe ein bisschen ausfragen zu können. Du bist ja mit Theatre of Tragedy und auch als Solo Künstlerin schon viele Jahre im Business aktiv. Woher kam der ganz ursprüngliche Impuls Musik zu machen bei dir?

Der Impuls kam sehr früh. Ehrlich gesagt, kann ich mich gar nicht daran erinnern, diese innere Stimme nicht in mir gehabt bzw. gespürt zu haben. Da ich angeblich etwas spät mit dem Sprechen angefangen habe, hat sich wahrscheinlich instinktiv ein anderes Kommunikationsmedium bei mir durchgesetzt, nämlich das Singen. Das konnte ich sehr früh und zwar fing ich im Alter von 3 Jahren an Stimmen nachzusingen und mich stundenlang am Tag mit Musik zu beschäftigen. Black Sabbath war, durch meine jungen Eltern für mich die „perfekte“ Musik. Ich wollte die Stimmen und den Klang der Musik spüren, wie es sich anfühlt genau so wie ABBA, Ozzy oder Maria Callas zu räsonieren. Meine Mutter hat mir neulich ein altes Kinderliedergesangsbuch gegeben, in dem ich die Lieder blau angemalt habe, die traurig oder negativ für mich klangen. Das Phänomen Farben bei Klängen zu sehen ist für mich ganz normal. Ich male auch sehr gerne – ich nenne das „Music in Painting“, wo jeder ein persönliches Gemälde von mir bestellen kann. Da spielt die Lieblingsfarbe und das Lieblingslied eine essentielle Rolle. Wenn Töne nicht im Einklang sind bekomme ich heute noch Bauchweh.

Im Alter von zehn Jahren, fing ich an mir eigene Lieder auszudenken und vorzutragen. Mitte der Neunziger lernte ich ein paar Metalheads in Stavanger, meinem Geburtsort, kennen und wir gründeten als begeisterte Shakespeare und Doom Metal Fans Theatre of Tragedy. Zwei Jahre nachdem wir eine Demokassette für 45 Euro aufgenommen hatten, waren wir auf Europatournee in ausverkauften Venues. Ich habe außer im Chor nirgendwo Gesangsunterricht gehabt, sondern Musik und das Beherrschen von Gesangstechniken autodidaktisch auf der Bühne und im Studio gelernt. Das ist seit über 40 Jahren, 20 Alben und über ca. 1.000 Konzerten immer noch so. Außerdem begleite ich eine Handvoll Sänger, i.d.R. nehme ich 5-7 auf, die bei mir privat Unterricht zur Stimmbildung und Authentizität bekommen. Ich arbeite sehr individuell, holistisch und mit der inneren und der äußeren Stimme(n) (www.karmasonic.net). Auch das ist ein Teil dieses ursprünglichen Impulses. Ich bin dem Universum unendlich dankbar dafür, diese Kompetenz zu besitzen.  

Kannst du dich noch an das allererste mal erinnern, als du auf der Bühne standest? Wie war das?

Ich habe ständig bei den Schulabschlussfeiern die Bühne betreten, das war Gang und Gebe. Zudem gab es 2 Konzerte im Jugendhaus vor 5 Leuten, 2 davon meine Eltern. Das erste richtige Konzert war in Deutschland, in tiefsten Osten im niedergeschneiten Stavenhagen, vor 800 Leuten, ich meine das war im Jahr 1996. Und ich hatte Lampenfieber, das sich aber nach etwa 4 Konzerten aufgelöst hat. Seitdem ist für mich die Bühne zu betreten wie eine geniale Auszeit, in der ich völlig mit und in der Klangwelt verschmelzen kann. Ich bin der Meinung, dass Musik eine heilende Kraft hat, bzw. ist das seit tausenden von Jahren praktisch so erwiesen und praktiziert worden. 

Was denkst du über Frauen* im Goth Metal? Noch schwieriger? Noch spezieller? Noch seltener als in anderen Genres?

In 1994 bis 1999 schon ein interessantes Thema für viele, ja. Es gab auch Kritiker damals, die keine Reviews von Theatre of Tragedy machen wollten bzw. unser Debüt verrissen haben, weil eine Engelsstimme deren Meinung nach nichts zu suchen habe im Goth und Doom Metal. Ein seltenes Phänomen ist das lange nicht mehr, jedoch besteht ein gewisser Hauptfokus auf eine Metal Band auf die Frontfigur insbesondere wenn sie eine Frau ist. Hier wird, meiner Meinung nach, auch sehr viel mit Sex-Appeal gespielt. Das, muss ich sagen, ist nicht meine Frequenz. Klar haben die Plattenfirmen und das Management damals genau das sehen und haben wollen, aber ich würde heute Nichts machen und ganz klar ablehnen, egal von wem es kommt, was nicht mit meiner authentischen Frequenz und Vorstellungen im Einklang ist. Das ist auch ein Grund, warum ich für meine nächste Veröffentlichung nicht bei einem Majorlabel unterschrieben habe. Allegro Talent Media, ein Independent Label, das sich bewusst und ausschließlich um eine Handvoll Künstler kümmert, unterstützt mich auf meinem authentischen Weg. Genau das brauche ich. Sehr positiv finde ich es, dass sich Bands aus allen Kontinenten immer wieder bei mir melden, die keine Frontfrau am Mikrofon haben, mit Einladungen zum Gastgesang, um etwas Kontrast in die Kompositionen zu bringen. Das macht richtig Spaß.  

Ihr habt ja schon sehr viel an Tour- und Konzerterfahrungen gemacht. Wie war das für dich? Gibt es besonders schöne oder schräge Momente, von denen du erzählen kannst? Hast du schon einmal die Erfahrung gemacht als weibliches Bandmitglied nicht ernst genommen worden zu sein oder hat man dich schon mal nicht in den Backstage-Bereich lassen wollen?

Konzerte spielen an sich war meistens ein positives Erlebnis für mich. Wie bereits erwähnt, ich fühle mich pudelwohl in meiner „Bubble“ auf der Bühne. Der Sound, der Krach, der Tiefgang der Bässe, der emotionale Austausch mit dem Publikum – das ist Heilung für die Seele und für den Geist. Das Leben im Tourbus allerdings ist echt hart. Ich bin diejenige, die die stinkige Wäsche aufgeräumt hat, um Ruhe gebeten habe, wenn Sohnemann an Board war, das eklige Tourbusklo desinfiziert und noch die Groupies getröstet habe, wenn sie spätestens an der nächsten Tanke abgesetzt worden sind. Ich bin, nach dem Aufstehen und Aufräumen morgens meistens vom Tourbus verschwunden. Entweder habe ich nach dem morgendlichen Kaffe eine Joggingrunde und eine Dusche gesucht, oder ich bin mit Sohnemann Städte erforschen gegangen. Backstage kam ich nur kurz vor dem Soundcheck oder Konzert. Nach der Show und der obligatorischen und gerne gemachten Autogrammstunde gab es 2 Bier oder ein Gläschen Rotwein. Backstage gab es eigentlich nie Ärger, eher im Tourbus. In meinem Bett hat es außerdem immer nach Vanille und Blumen gerochen, hehe, etwas was sich stark rentiert, wenn man einen Monat mit Band und Crew auf wenigen Quadratmetern unterwegs ist. Ich kann mich außerdem daran erinnern, dass mein Sohn unbedingt eine Snaredrum haben wollte. Ich ließ ihn dann ab sieben Uhr morgens zeigen, was er als junges Talent drauf hat. Das hat eine ausgleichende Wirkung auf die Aftershowparty im Tourbus gehabt. Durchaus aussagekräftig der Gegenkrach der frühmorgendlichen Kindersnaredrum.      

Hast du persönliche musikalische (Frauen-)Vorbilder? Wen und warum? 

Kate Bush und Doro. Kate eher vom stimmlichen Klang und dem sehr authentischen Weg ihrer Karriere, und Doro, die ich persönlich kennenlernen durfte, die einfach eine phantastische und strahlende Frau ist, die ihre Musik liebt und lebt.

Was denkst du sind die Gründe dafür, dass auf den Bühnen immer noch mehr Männer als Frauen zu sehen sind?

Frauen bekommen meistens Kinder. Zweitens, die meisten Männer scheinen den Rudel und Tourtrudeljubel eher und gerne für längere Zeit zu mögen. Mein Lieblingsrudel ist für mich Zuhause. 

Hast du als Musikerin schon mal negative Erfahrungen mit Sexismus oder Benachteiligung gemacht oder hat dir mal jemand versucht zu erklären, wie du ins Mikro singen sollst? 

Mit dem Mikro war ich nie verunsichert, es fing schon im sehr frühen Alter an, dass ich vor dem Spiegel in meinem Zimmer stand mit der Haarbürste in meiner Hand. Sexismus in der Musikindustrie ist ein Thema für sich. Ja, ich muss leider zugeben, dass ich mit Labels und Management sporadisch schlechte Erfahrungen gemacht habe. Je mehr Geld im Umlauf war, je mehr wurde erwartet, auch was Haut zeigen betrifft. Für manche Frauen ist das in Ordnung und dann passt es; für mich war das oft grenzüberschreitend und ich habe dadurch wirklich lernen müssen, nein zu sagen. 

Bezeichnest du dich als Feministin und wenn ja, was bedeutet das für dich?

Ich betrachte mich nicht als Feministin, aber ich bin sehr stark für Gleichberechtigung. Ich kenne auch Männer, die unterdrückt worden sind. Ich arbeite auch mit Frauen und Männern, die ein fettes Trauma mit sich tragen, weil sie narzisstischen Missbrauch ertragen haben. Ich habe als Frau gelernt, Grenzen zu setzen, persönlich und geschäftlich. Meine Erfahrungen gebe ich weiter. Das hilft mir, mein eigenes vergangenes Trauma durch eine andere, beobachtende Perspektive zu sehen, was wirklich gesund ist und mit der Zeit für mentale und körperliche Erleichterung sorgt, und, ich folge dabei auch einen inneren Ruf, anderen Männern und Frauen zu helfen, ihren Weg zurück zu sich zu finden. Dafür ist auch www.karmasonic.net da. Auch ich habe den Weg zurück zu mir gefunden. Mit 45. 

Gibt es besondere Projekte, Bands, Labels, Kollektive oder sonst irgendwas, was du unseren Leser*innen empfehlen kannst? Willst du noch etwas loswerden, was bisher nicht zur Sprache kam?

Ich danke dir erstmal für das sehr schöne Interview. Und ich habe das Gefühl, dass ich alles gesagt habe. Ich danke dir. 

Danke dir ebenso!