Uli Sailor im Interview (Plastic Bomb #120)

Für Punkrock-Puristen mag der Begriff „Punkrock-Piano“ wie ein Frevel klingen. Maximal erlaubt sind in der Regel Blas-Instrumente und dann muss das Werk mit der Vorsilbe „Ska-“ zur Abschreckung gekennzeichnet sein. Keyboard-Synthiesound auch, wenn man aus ähnlichen Gründen „Post-“ davor schreibt. Aber das unförmige Tasteninstrument fristet bisher ein kümmerliches Dasein im Punk. Bisher kenne ich es nur aus dem Opener des Liedes von Poison Idea, welches namensgebend für dieses Heft war.
Daran, dies zu ändern, hat sich Uli Sailor aus Berlin gemacht. Bisher gerade noch in ähnlicher Funktion bei der Terrorgruppe, nun auf dem Weg zur Solo-Karriere, aushilfsweise mit Coversongs von Melodic- und Deutschpunksmashern. Doch er ist noch wat am Planen dran, wie er im Interview erzählt.

Klavier ist jetzt nicht das allererste Instrument, bei dem man an Punkrock denkt. Hattest du in der Musikschule keinen Gitarrenunterricht oder wie bist du daran gekommen?

Meine Mama hat mich mit sechs zum Klavierunterricht geschickt. Deswegen ist es mein erstes Instrument, das ich gelernt habe. Als ich aber dann  mit Punk in Berührung gekommen bin, wollte ich natürlich nur noch Gitarre spielen. In den Neunzigern war es nämlich total uncool, Klavier oder Tasteninstrumente zu spielen. Keyboard hat man bei den Bands auf Konzerten fast nie gesehen. Die einzigen, die mir einfallen, die auch damals cool mit Keyboard waren, sind Faith No More.

Klavier habe ich in dieser Zeit auch gar nicht mit Punk in Verbindung gebracht. Allerdings hab ich eigene Songs auch damals immer schon am Klavier geschrieben, weil das das Instrument war, mit dem ich mich am besten auskannte. Ich habe mir zwar irgendwann selber Gitarre beigebracht und es immerhin zum Rhythmusgitarristen geschafft. Aber Klavier ist das Instrument, an das ich mich dransetzen und sofort spielen kann.  Nachdem sich D-Sailors aufgelöst und ich TUSQ gegründet hab, habe ich dort viel mehr Tasteninstrumente gespielt. Auch bei Terrorgruppe, die mich eigentlich nur an der Orgel haben wollten,  habe ich über die Jahre  immer mehr mit Klavier gemacht. Das ist also schon immer irgendwie da gewesen, aber jetzt hat  es sich t in den Vordergrund gedrängt. Und die Verknüpfung mit Punk und Hardcore lag dann auch irgendwie nah, denn mir wurde klar, wenn ich was mit Klavier mache, muss ich mich auch auf meine musikalischen Wurzeln besinnen.

Hattest du ein musikalisches Erweckungserlebnis?

“Suffer” von Bad Religion war  mein Einstieg in diese Musik.  Damals war klar, das ist das Geilste, was ich je gehört habe. Damals in Jülich, wo ich ja ursprünglich herkomme, war unser unser Drummer bei D-Sailors damals sozusagen der Influencer. Der hat danach dann die ganzen Burning Heart- und Fat Wreck Chords-CDs angeschleppt. Es gab auch zwei Plattenläden in Jülich, wo man dann ab und zu mal gestöbert und das gefunden hat. Das war dann der Sound, auf den ich geprägt worden bin. Ich fand es einfach total geil. Lagwagon, Propagandhi und so. Schnelle Riffs, aber trotzdem poppig. Das hat mich total abgeholt

Zu dem Zeitpunkt, an dem wir das Interview führen, spielst du noch bei Terrorgruppe. Wenn das Heft erscheint, hat sich die Band aufgelöst. Hat das die Idee, das Projekt noch mal voranzutreiben, beeinflusst? Die panische Angst, nichts mehr zu tun zu haben?

Panische Angst nichts mehr zu tun zu haben, ist falsch. Es ist eher der innere Antrieb, weiter Musik zu machen. Terrorgruppe sollten sich eigentlich schon vor zwei Jahren auflösen. Der Entschluss zur Auflösung liegt eigentlich schon drei Jahre zurück und dann kam noch Corona dazwischen. Meine andere Band TUSQ liegt grad auch auf Eis, weil wir in verschiedenen Städten wohnen. Der wirtschaftliche Druck im Business ist ja recht hoch. Wenn wir uns als Band treffen wollen und auf Tour gehen, dann kostet das einfach Geld und Zeit. Früher war das einfacher, als wir alle in einer Stadt gewohnt haben. Da hat man sich eben dann zum Proben getroffen, Konzerte gespielt und eine Platte geschrieben, weil uns allen langweilig war. Heute ist das leider nicht mehr so leicht zu organisieren, da alle viel zu tun haben mit ihren Jobs und Familien… Daraufhin habe ich mich gefragt, ob ich nicht auch alleine Musik machen könnte, dann muss ich mich nicht mehr mit den ganzen Typen absprechen. Und aus Quatsch, habe ich dann gesagt, dass doch jetzt Zeit wäre für ein Klavieralbum. Ich hatte aber noch keine Songs und keine Vorstellung von einem Sound.  Und dann bin ich auf die Cover-Idee gekommen. Ich dachte, wenn ich Coversongs nehme, kann ich daraus ein Gefühlt  einen Sound und vielleicht sogar ein gutes Live-Set entwickeln. Es war für mich dann auch nicht so leicht Coversongs zu finden, weil ich nicht der Mambo Kurt des Punkrocks werden will.  Ich will eigentlich meine eigenen Songs schreiben. Aber um ein gutes Konzert spielen zu können, brauchst du schon zwei, drei Alben mit eigenen Songs.  Schlussendlich habe ich mir dann auch nicht die größten Hits ausgesucht, sondern ich habe nur Bands genommen, die mir am Herzen liegen. Von denen habe ich dann den ersten Song des Albums genommen, mit dem ich die Band zum ersten Mal gehört habe. Vielleicht ein bisschen verkopft, aber am Ende hat es total Sinn ergeben. Ich bin durch meine Plattensammlung gegangen und hab geschaut, was mich damals total geflashed hat. Die 5 wichtigsten Bands hab ich rausgesucht und diese Songs habe ich dann fürs Klavier umarrangiert. Mein Kumpel Micha hat mir dann noch ein Cello draufgespielt und fertig war die Punkrock Piano EP.

Aber da limitierst du dich ja schon, wenn es nur der erste Song auf der Platte sein darf. Das ist ja nicht immer der Hit.

Ich glaube, es brauchte diese Einschränkung für mich im Kopf, um mir selber erlauben zu dürfen, dass ich jetzt anfange zu covern. Und das merke ich jetzt auch, wo ich das Liveset vorbereite und probe, dass es richtig war, dass ich mir so n Kopf gemacht hab. Klar könnte ich jetzt “Basket Case” von Green Day covern, weil das halt der größte Green Day-Hit ist oder das Beste aus dem Punk der 80ern, 90er und von heute.. Aber das war ja nicht das Ziel. Alle Songs sollten eng   mit mir und meinen musikalischen Wurzeln verbunden sein.

Es sind ja fünf Songs. Wenn man sie durchdekliniert, würdest du schon zu jedem eine Geschichte haben?

“Suffer” von Bad Religion war tatsächlich die erste Platte, mit der ich in diesen Melodycore-Kosmos geraten bin. Ein Kumpel hat mir die ausgeliehen und ich hab sie mir auf Kassette überspielt. Da hat es mich einfach schon total geflasht, dass es 15 Songs in 26 Minuten waren. Ich hatte das Album auf eine Kassette kopiert und zwar auf beide Seiten und die hab ich einen Sommer auf Repeat gehört. Es ist auch heute noch so, dass ich weiß, wenn der eine Song aufhört, wie der nächste losgeht. Das ist ein Teil meiner Kindheitserinnerungen. Greg Graffin ist für mich auch eine total einflussreiche Stimme. Klar, die Texte habe ich damals nicht so richtig verstanden, aber man hat in jedem Song, in jedem Wort den Anspruch gehört, den die Band an ihre Musik hatte. Und musikalisch hat es mich natürlich auch total abgeholt. 

Bei Lagwagon weiß ich auch noch genau, wo ich das erste Mal “Island of Shame” gehört habe: auf dem Weg zur Live Music Hall in Köln, auf dem Weg zum NoFX Konzert, wo Lagwagon Vorband waren. Ein Kumpel von mir hatte einen Fiat Panda, wo er immer Leute für 5 Mark mit in die Disco oder mit zu Konzerten genommen hat. Dann fragte er mich, ob ich die Vorband schon kenne und hat die Trashed von Lagwagon  reingemacht.  Der hat mich echt richtig umgehauen, so schnell, so viele Breaks, so melodisch.: Krass.  Bei Propagandhi erinner ich mich auch noch gut, als ich die “How to clean everything” zum ersten Mal gehört hab. Mein Drummer hat mir damals die Kassette in die Hand gedrückt.“Anti-Manifesto” hat mich so geflahed, dass ich das ganze Album am Stück durchhören musste. Das sind alless alles so romantische Jugenderinnerungen. Wenn man heute ne Band zum ersten Mal hört, ist das leider in 99% der Fälle nicht mehr so.

Gab es denn von den jeweils gecoverten Musikern auch schon Rückmeldung?

Bisher leider nicht. Klar, der Fanboy in mir drin wünscht sich, dass Fat Mike mir schreibt und sagt: “Wow, Uli, das haste juut jemacht.” Aber es gibt ja 1000 Leute auf der Welt, die jeden Tag ihre Coverversionen hochladen, von daher hab ich auch nicht damit gerechnet.   Natürlich hab ichs im Internet geteilt und alle verlinkt, habe meine persönliche Geschichte erzählt, aber ne direkte Reaktion gab es nicht. Immerhin:das Video zu “Linoleum” haben NoFX  in ner Story bei Instagram erwähnt.  Und vielleicht trifft man sich ja irgendwann mal bei nem Konzert, oder vielleicht kann ich ma Joey Cape von Lagwagon auf einer Solo-Tour supporten. Ich sehe das ja auch als langfristig angelegt und nicht nur als Coverprojekt und vielleicht läuft man sich irgendwie irgendwann mal über den Weg und dann spiele ich es ihnen mal vor, um ein Feedback zu kriegen.

Wer das ist, du hast mir ja schon vorher verraten, dass du noch weitere Songs aus dem deutschsprachigen Bereich hast. Bist du da ähnlich über deine Biographie herangegangen?

Ja genau. Auf einem Bein kann man ja nicht stehen. Und das zweite Standbein meiner musikalischen Karriere ist halt der Deutschpunk. Mit D-Sailors damals war es unser größter Traum, mit NoFX, Propagandhi und Lagwagon zu touren. Es hat nie so richtig geklappt, weil wir auch ehrlich gesagt ein paar Jahre zu spät waren. Eigentlich sind die großen Alben Anfang der 90er rausgekommen und unser Debütalbum erschien 1998. Da war der Zug hier eigentlich schon durchgerauscht. Aber wir hatten immerhin ein Label (Vitaminepillen Records),da haben wir zur Melodycore-Abteilung gehört, aber die hatten eben auch Knochenfabrik, Wohlstandskinder und so. Dadurch haben wir auf vielen Deutschpunk-Festivals gespielt. Das war auch oft gar nicht so angenehm, weil viele Iro-Punks gar keinen Bock auf Melodycore hatten. Und dann stehst du da mit deinem Skatepunk vor so angepissten Deutschpunkern und wirst mit Bierdosen beworfen. Aber es war auch eine gute Schule. Ich wusste irgendwann, wenn ich jetzt hier auf der Vitaminepillen Label Party im AZ Mülheim bestehen kann, kann ich vor jedem Publikum spielen. Aber es war generell eine schöne Verbindung, weil  wir viele Freunde in der ganzen Szene gefunden haben. Mein Einstieg bei Terrorgruppe hat mich übrigens auch wieder in diese Zeit zurück gebracht. Damit fing eigentlich dieser ganze Nostalgie-Trip  an, weil ich auf einmal wieder in diesem Umfeld war und so viele Leute von früher wieder getroffen habe. Hey, das war ja meine Jugend und meine Zwanziger, mit dieser Musik und diesen Leuten habe ich so viel Zeit verbracht und  daran liegt mir auch heute noch echt viel. Und tatsächlich sind auch noch so viele Leute von früher da, die immer noch Musik machen.

Und das ist etwas Besonderes. Deswegen habe ich mich dann entschieden, dass ich noch fünf Deutschpunk Songs covere, um mein Live-Set zu vervollständigen.  Mit zehn Songs kann man sich schon mal auf ne Bühne stellen. Und ich finde es auch interessant, zwischen englischen und deutschen Texten zu switchen.

Die deutschen Songs haben nochmal eine andere Qualität und bringen eine andere Dimension in das ganze Projekt. Man versteht die Texte besser, die Lieder sind nicht ganz so technisch. Die Melodycore-Sachen basieren eher auf Geschwindigkeit und Riffs, bei den deutschen Songs stehen die Texte mehr im Vordergrund. Bei Terrorgruppe spiele ich jetzt ja selber, die anderen Bands sind gute Freunde,Vitaminepillen-Bands wie Casanovas Schwule Seite oder Schrottgrenze (mit Timo von Schrottgrenze spiele ich bei TUSQ) oder. Herrenmagazin aus Hamburg hab ich ausgewählt, weil wir uns mit TUSQ und denen einen Proberaum und für das erste Album auch den Bassist geteilt haben.

Ist es eigentlich ein schwieriger Vorgang, diese Punk Songs auf Klavier und Cello zu übertragen?

Nö, eigentlich nicht. Ich gehe da grundsätzlich so ran, wie ich auch einen Song für die Gitarre raushören würde. Ich suche mir die Grundharmonien im Internet raus oder höre mir die Akkorde so raus. Dann setze ich mich mit der Gitarre hin, oder mit welchem Instrument auch immer und spiele erst mal die Harmonien nach. Dann ist es im nächsten Schritt sehr wichtig für mich, dass die Tonart zu meiner Gesangsrange passt. Tatsächlich sind mir bei vielen amerikanischen Bands die Songs im Original von der Tonlage zu hoch. Ich muss die runter transponieren, damit ich die gut singen kann. Bei D-Sailors haben wir auch oft zu hoch komponiert. Und dann ist mir das live auf die Füße gefallen, wenn die Songs zu hoch sind und die Puste nicht reicht. Ich habe die Cover fürs Klavier dann auf meine Tonart angepasst und dann halt viel gespielt und dazu gesungen. Man bekommt dann schnell ein Gefühl für den Song und ob das passt mit dem Klavier. Und so habe ich dann auch aufgenommen. Mein Kumpel Micha, der produziert  und mich aufgenommen hat, der das Cello spielt, der hat dann auf die fertigen Arrangements, die ich gemacht habe, dann Cello dazu erfunden.

Du wirst ja bald mal auf Tour gehen? Wie umständlich ist es mit dem Klavier zu touren? Du wirst es ja irgendwann bestimmt bereuen, es nicht doch mit einer handlichen Klampfe gemacht zu haben.

Mit einem echten Klavier zu touren ist tatsächlich unmöglich. Vor allem aus dem Grund, weil ich nicht abhängig davon sein will, ob da jetzt in jedem Laden ein Klavier steht.Ein Kumpel hat mir aus Holz ein Klavier gebaut. Eigentlich einen Keyboardständer. Es sind insgesamt sechs Holzbretter, die er mir liebevoll zusammengeschraubt, angestrichen und mit Stuck verziert hat.  Und vorne mit Linoleum verkleidet. Das kann ich easy  ins Auto packen, und kann einfach mit Keyboard und Verstärker auf Tour gehen.
Interview: Philipp