Sind Punkfestivals dem Untergang geweiht?

Ganz wichtig, gleich am Anfang.

Das wird hier kein Festival-Bashing. Ich liebe Punkfestivals, als Zivilistin, hinterm Plattenstand, ich hänge im Sommer oft und viel auf Festivals rum.

Es geht mir hier nicht darum, irgendwem Vorwürfe zu machen, sondern einfach ein paar Sachen zu erklären und im besten Fall Anregungen für die Zukunft zu schaffen.

Bandauswahl.

So ziemlich jede bekanntere Headlinerband hat jetzt 1-8 mal auf allen Punkfestivals gespielt. Die Reunion-Welle ist vorbei, es gibt kaum mehr alte, aufgelöste Bands, die sich jetzt nochmal neu formieren könnten, um glaubhaft und geil aus der Asche steigen könnten.

Auch die dienstälteren und dadurch bekannten, existierenden Punkbands haben sich auf jedem Festival mehrfach die Ehre gegeben und werden, trotz oder wegen neuerer Alben, nach und nach weniger ein Grund, sich deswegen zum Festival zu schleppen.

Zum Thema „neue Bands“ kommt am Ende des Textes noch ein Absatz.

Preise und Service

Im Sommer 2022 haben wir die oft angekündigten Pandemie-Nachwehen auf den Festivals schon zu spüren bekommen. Erst konnte ewig nichts stattfinden, dann alles auf einmal. Das führte zu einem Engpass bei so ziemlich allem, besonders spürbar zum Beispiel bei mobilen Toiletten. Auch wenn die Veranstalter*innen bereit waren, die gestiegenen Preise zu stemmen, gab es für manche Termine schlichtweg keine Klos zur Miete. Mit Bierwägen, Bühnen und Technik war das übrigens ähnlich.

Außerdem haben sich während der Pandemie viele der teilweise schlecht bezahlten und unter schwierigen Bedingungen arbeitenden Techniker*innen und Serviceleute aus der Gastro in andere Jobs begeben. Ich hoffe natürlich für jede*n Einzelne*n, sich jetzt in einem sicheren Verhältnis mit besserer Bezahlung zu befinden. Für die Festivals hat das aber dazu geführt, dass so ziemlich alle Positionen unterbesetzt waren. Das hat bei Thema Security schon dazu geführt, dass Festivals um haaresbreite hätten abgesagt werden müssen.

So oder so sind die Preise einfach explodiert. Nicht nur die bereits genannten, für die Struktur eines Festivals benötigten Sachen. Auch Bier, Bandgagen, Flüge, Sprit, Strom usw sind im letzten Sommer nach oben geschossen. Und wer sich für Tagespolitik interessiert weiß, dass da noch kein Ende in Sicht ist.

Für viele Besucher*innen stellt sich dadurch schon längst nicht mehr die Frage „ist es mir das wert?“ sondern ist ein klares „das kann ich mir nicht mehr leisten“ zu beobachten.

Security

Punk und Security sind ja an sich schon mal eine problematische Kombination. Wer hat schon Bock, sich auf einem Festival, quasi dem Urlaub des Punks, in irgendwelche Schranken weisen zu lassen?

Leider vergeht keine größere Veranstaltung, auf der nicht mehrfach bewiesen wird, dass aber genau das notwendig ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, ihre eigenen Grenzen und die von anderen Besucher*innen respektvoll zu behandeln. Gleichzeitig sind fest eingeteilte Security-Leute ab einer bestimmten Zahl von Besucher*innen schlichtweg vorgeschrieben. Mit diesem Problem hat man ja im Punk schon länger zu kämpfen und gleichzeitig gelingt eine erträgliche Mischung aus gut eingewiesenem, professionellem Secu-Team und „Leuten aus der Szene“ echt nur ganz selten.

Oder gar professionellen Teams mit Wurzeln in der Szene. Alles nachvollziehbar, führt aber im blödesten Fall zu skurrilen Situationen, in denen politisch inakzeptable Secus alternative Festivals bewachen sollen.

Ärgernisse

Versteckte Kosten bringen immer nur Frust. Wenn ich als Gast einen klaren Preis für eine Veranstaltung vor Augen habe, kann ich einschätzen, ob ich mir das dieses Jahr leisten kann oder nicht.

Wenn aber auf einen hohen Preis noch Kosten drauf kommen, die vorher nicht klar kommuniziert wurden, ärgere ich mich. Warum sollte ein Campingplatz auf einem Festival mitten in der Walachei, wo 99% aller Gäste zelten, extra kosten?

Warum muss ich nach dem Festival diskutieren, warum mein Müllsack „nicht voll genug ist“ um mein „Müllpfand“ (wtf?) zurück zu kriegen?

Warum kosten Toilettenbesuche auf manchen Festivals extra Geld? Und warum gilt das oft genug nur auf dem FLINTA Klo?!

Wasser

Es kann einfach nicht sein, dass es nicht möglich ist, kostenlosen Zugang zu Trinkwasser zu bekommen. Selbst, wenn auf dem Campingplatz irgendwo ein tröpfelnder Wasserhahn steht, warum findet man sowas so selten auf dem Infield? Bzw wird mir eine Plastikflasche voll Wasser am Eingang abgenommen? Wie viel Geld soll man denn mitschleppen bzw einplanen, um mehrere Tage bei sommerlichen Temperaturen jeden Schluck Wasser in einem Plastikbecher oder einer Flasche für viel Geld zu kaufen?

Rückläufige Besucherzahlen…vor allem Besucher*innen Zahlen

Klar, im ersten Sommer nach den pandemiebedingten Beschränkungen wollten erst mal alle alles nachholen. Wenn der Kühlschrank noch mit Tickets für Nachholtermine vollgekleistert ist, holt man sich im „Sommer der Preisanstiege“ vermutlich auch wenig neue Tickets dazu, feiert erst mal die offenen Sachen ab und irgendwann muss man ja auch noch an den See oder in‘ Urlaub.

Dennoch sagen mir Gespräche, vor allem mit FLINTA-Punks, dass viele sich auf Punkfestivals schon lange nicht mehr wohl fühlen. Übergriffe, Belästigungen und Nervereien sind in einem Sommer, in dem scheinbar alle alles nachholen müssen, nicht weniger geworden. Gleichzeitig verfügt kaum ein Festival über ein funktionierendes Awareness-Konzept.

Gleichzeitig führt der (bereits genannte) Mangel an sanitären Anlagen dazu, dass Festivals, zu denen man eh schon keinen besonders hohen Hygiene-Anspruch mitbringt, für menstruierende Menschen zu einem handfesten Grund, ein Festival sausen zu lassen.

Auch wenn das jetzt für einige, nicht-menstruierende Menschen vielleicht schockierend klingen mag:

Wer auf einem Festival menstruiert und keine Chance hat, sich vor und nach dem Toilettengang die Flossen zu waschen, hat ein echtes Problem.

Waldbrand, Hitzesommer, Klimakatastrophe

Viele Festivals haben im Juli und August jetzt schon mit Waldbrandgefahr zu kämpfen. Auch, wenn viele Menschen meinen, sich daran zu erinnern, dass „es früher auch schon heiße Sommer gab“, ist die Trockenheit der Wälder ein Fakt, der auch nicht mit 3 Tagen Regen abgemildert wird. Und dieses Problem wird in den nächsten Jahren noch viel, viel größer werden.

Hitzerekorde bringen die Infrastruktur der Festivals ins stocken und bei Knallsonne wird es vor der Bühne schlichtweg irgendwann gefährlich.

Ideen, Vorschläge, Meinung von meiner Seite.

Waldbrand:

Ich frage mich, ob die gängigen Punkfestivals mal drüber nachdenken sollten, ihre Termine für die kommenden Jahre standartmäßig in den Mai und Juni, bzw September zu verlegen. Da ist das Wetter auch in der Zukunft besser zu ertragen, die Dichte der Festivals, mit denen man sich die Infrastruktur auf dem Dixi-Klo und Bühnentechnik-Markt teilen muss, ist nicht so groß wie im Hochsommer. Und man muss sich den Zeitslot nicht mit den Sommerferien-bedingten Urlauben der Gäste teilen. Ich denke, dass in wenigen Jahren ein Festival im Juli/August nicht mehr möglich sein wird, da macht es Sinn, „den neuen Termin“ jetzt schon zu etablieren.

Bands:

Beim Thema „neue Bands“ haben die etablierten Punkfestivals in den letzten Jahren einen guten Job gemacht, ich habe viele Namen auf den Flyern gelesen, die mir vorher unbekannt waren. Aber es sind einfach nicht im gleichen Maße Bands nachgewachsen, wie man an Headlinern Bedarf gehabt hätte, um die großen Bühnen zur Primetime abwechslungsreich zu bespielen.

Ob das am Desinteresse der Gäste liegt oder an der Zurückhaltung/Unkreativität der Booker*innen, ist natürlich eine „Huhn und Ei“ Diskussion. Ich rate da aber zu „mehr Mut“ bei den Veranstalter*innen und zu „mehr Wertschätzung“ bei den Gästen!

Ich bin mir absolut sicher, dass es auch hier einer neuen Langzeit-Taktik bedarf. Viele jüngere Punks fühlen sich von den teils überalterten Bands schon lange nicht mehr angesprochen, auch wenn man sie ihnen immer wieder als „alte Helden“ anpreist. Im Punk laufen positive Gefühle eben, wie überall anders auch, über Identifikation. Es ist absolut nachvollziehbar, dass jüngere Punks vor der Bühne auch mal jüngere Punks auf der Bühne sehen wollen. Und wie wichtig es ist, den Fokus immer mehr auf FLINTA Booking zu legen, muss ich hier nicht schon wieder erklären.

Vielleicht muss man sich beim Booking generell mal von dem Gedanken lösen, dass nur eine Band, die seit 100 Jahren tourt, auch den 20 – 23 Uhr Slot spielen kann. Denn das schließt einige Bands von vorn herein aus und man verpasst vielleicht eine geile Show.

Viele Mainstream-Festivals haben den Fokus, bzw das, was ihr Festival von anderen Festivals unterscheidet, weg von den Bands, hin zum Rahmenprogramm gelenkt. Da ist die Frage, ob das bei Punkfestivals auch ratsam wäre. Denn wenn auf fast allen Festivals fast die selben Bands zocken, überlegt man sich eben, was einen sonst noch anlockt.

Neben der regionalen Entfernung sind sicher Dinge wie ein Waldbad oder See, das Ambiente, aber auch die Aftershowparty oder die Nachmittagsbespaßung ein wichtiger Punkt bei der Entscheidung, auf welches Festival man im kommenden Sommer fahren will. Vielleicht wäre es sinnvoll, auch mal über Politprogramm oder Lesungen am Nachmittag, Punk-Karaoke und ähnliches nachzudenken, um das eigene Festival von Anderen abzuheben. Für mich persönlich muss es nicht unbedingt der Boxring sein, aber euch fällt sicher noch was anderes, kreatives und lustiges ein. Meine Lieblingsbeispiele sind die Punk-Olympiade in Neubrandenburg und die DIY-Geisterbahn im Zoro. Viele solcher Sachen sind mit wenig Kohleaufwand umsetzbar und schaffen schöne Erinnerungen bei den Gästen.

Sicherheit:

Das Thema Security bzw Sicherheit ist ein Langzeitprojekt, an dem die Punkszene weiter feilen sollte. Es geht nicht ohne, aber ich kenne kaum jemanden, die/der noch keine unangenehme Erfahrung mit nicht-Szene-Secus gemacht hat, die entweder nicht wissen, was ein Pogomob ist, oder sich selbst in Uniform ein bisschen zu geil finden.

Awareness:

Die wenigsten Festivals halten im Moment ein Awareness-Konzept für notwendig. Aber es reicht einfach nicht, zu versuchen, die Securitys auch noch mit diesem Thema zu belagern. Einmal wegen der bereits benannten Probleme, aber auch schlichtweg, weil sie das nicht auch noch stemmen können.

Mit welchen Problemen, Übergriffen und Anfeindungen FLINTA, aber auch cis-Dudes auf Festivals zu kämpfen haben, wurde in den letzten Jahren mehrfach thematisiert.

Die Festivals MÜSSEN das Thema ernst nehmen, wenn sie FLINTA-Punks dauerhaft als Gäste behalten wollen, bzw neu gewinnen möchten.

Awareness-Teams müssen als ganz eigener Posten in die Kostenkalkulation mit rein, auch wenn’s schwierig ist. Am Ende gewinnen die Festivals mehr Gäste, wenn sich auf dem Gelände alle sicher, gut aufgehoben und willkommen fühlen.

Nur, wer die Bedürfnisse der eigenen Gäste ernst nimmt, kann längerfristig damit rechnen, dass die Zahl der Besucher*innen nicht noch weiter zurück geht.

Und an dieser Stelle möchte ich noch sagen:

Die Awareness-Arbeit endet nicht mit dem Ende der Veranstaltung. Nach vielen Jahren und meist noch andauernder Ignoranz mit dem Thema, haben viele Betroffene noch lange nicht verinnerlicht, dass es auf MANCHEN Festivals nun ein Awareness-Team gibt. Was eben dazu führt, dass deren Dienste nicht immer in Anspruch genommen werden und viele Vorfälle erst im Nachhinein aufgearbeitet werden. Also haltet euch auch im Anschluss an eure Veranstaltungen zur Verfügung, zeigt Interesse, Vorfälle aufzuarbeiten und im nächsten Jahr besser zu machen.

Das sind meine Gedanken zum Thema Punk-Festivals, lasst mich gern hören, wie ihr das so seht.

Ich kann nur raten, auch Feedback an die Festivals zu senden, die ihr besucht habt, nur so können Strukturen wachsen und optimiert werden.

Aber bleibt dabei cool und fair und haltet euch vor Augen, dass die meistens Veranstalter*innen das nicht wegen der Kohle machen, sondern sich aus Überzeugung den Arsch aufreißen, um euch ein gutes Wochenende zu bieten!

Ronja