Michael Diamond/Adam Horovitz: Beastie Boys Buch

Zwischen dem Erhalt des Buches und dieser Rezension liegen gut neun Monate. Dieses Buch über die legendärenBeastie Boys, welches auf den schlichten und ebenso einprägsamen Titel „Beastie Boys Buch“ hört, lag wie ein backsteingroßes schlechtes Gewissen monatelang mahnend auf meinem Bücherstapel ganz oben. Aber Gewicht und Größe hinderten mich immer wieder daran, es in die Hand oder gar auf Zugreisen mitzunehmen, auf denen ich meistens die Bücher lese. Glücklicherweise klappte es dann doch, sonst hätte ich ein bedeutendes Werk der jüngeren Popkulturgeschichte verpasst.

Verfasst wurde das Beastie Boys-Buch von den beiden Rest-Beasties  Michael Diamond alias Mike D und Adam Horovitz, alias Ad Rock. Adam Yauch, der dritte Beastie Boy, verstarb bereits 2012 an Krebs. Es ist wenig verwunderlich, dass das Buch direkt mit dem Gedenken an Yauch und einer Würdigung an ihn als Technikfreak, Reisenden und natürlich Freund beginnt und die Diamond und Horovitz immer wieder in guter Erinnerung an Yauch schwelgen.

Doch der Reihe nach. Auf die Gefahr hin, wem unrecht zu tun, kann man nicht erwarten, dass Plastic Bomb-Leser*innen jetzt sonderlich vertraut sind mit den Beastie Boys. Auch ich kannte sie eher als die „Fight for your right to party“-Typen. Doch tatsächlich gibt es deutlich mehr über die New Yorker zu wissen, deren Wurzeln im Punk liegen.

The Clash-Fan Michael Diamond entdeckt als Teenager die „Pay to cum“-Single der Bad Brains und sein Leben war völlig verändert. Als die Bad Brains 1980 in Manhatten ein Konzert geben, musste er natürlich dahin. Dort lernte Michael Diamond einen gewissen Adam Yauch kennen, ebenfalls ein junger Punk, mit dem er sich schnell anfreundet und einen eher nerdigen Musik-Zugang teilt. Man redete über Punk oder ging gemeinsam in die New Yorker Punk-Institutionen CBGBs oder A7. 1981 kamen schließlich Black Flag in die Stadt, die Michael Diamond zur Gründung seiner eigenen Hardcore-Band mit dem Namen Beastie Boys inspirierte. Nun muss man dazu sagen, dass New York in den frühen Achtzigern nach den glorreichen Siebzigern um die Ramones, Blondie, Talking Heads und so weiter gerade Punk- und Hardcoremäßig (noch) ziemlich abgemeldet war. Bis der spezielle New York Hardcore losbrach, sollte es noch ein paar Jahre dauern. Bis dahin langweilten gerade die sogenannten No Wave-Kapellen. Neue Verheißung brachten zunächst Bands, die vornehmlich an der Westküste des Landes oder in Washington D.C. beheimatet waren und Punk auf die nächste Stufe hoben.

Ebenfalls bei der besagten Black Flag-Show war Adam Yauch. Auch er wurde zu einer Bandgründung inspiriert und hob The Young And The Useless aus der Taufe. Allerdings kannte sich die spätere Stammbesetzung der Beastie Boys da noch gar nicht und Yauch war auch bei der ersten EP „Polly Wog Stew“, auf der die Band noch sehr nach Westküsten-Hardcore à la Circle Jerks klingt, nicht beteiligt. Horovitz kam erst 1983 zu den Beastie Boys, als Ersatz für den ursprünglichen Gitarristen John Berry.

„Egg raid on mojo“ von der Beastie Boys-Debut-EP „Polly Wog Stew“

Bis hierhin eine Geschichte, wie sie tausenden von Punk- und Hardcorekids schon erlebt haben. Doch schnell sind die Beastie Boys vom Hardcore etwas gelangweilt und gehen immer wieder in Clubs, in denen eine neue Art von Musik gespielt wird, mit denen sie als weiße, jüdische Mittelschichtkids eigentlich kaum kulturelle und soziale Berühungspunkte aufweisen. Die Rede ist von Hiphop.

Der erste Gehversuche in dem Bereich war die Single „Cookie Puss.“ Cookie Puss ist eine in den USA erhältliche Eiscremetorte, die der Band in erster Linie wegen ihrer dilettantischen und unfreiwillig komischen Werbung auffiel, die der Chef selber sprach, so wie in etwa hierzulande bei der Firma Seitenbacher.

Erste Gehversuche im HipHop-Bereich mit „Cooky Puss“

Von da an ging es ganz schnell, denn ein Song der B-Seite der Single („Beastie Revolution“) wurde unautorisiert von der Fluglinie British Airways verwendet. Die Beastie Boys selbst erfuhren aus dem Fernsehen, als der Spot zufällig lief, was jedem jungen Bandmitglied nachträglich mit anwaltlicher Hilfe 10.000 Dollar einbrachte. Da sie im Transformationsprozess zur Hiphop-Band im nächsten Schritt irgendwann einen DJ brauchten, heuerten sie den später legendären Produzenten Rick Rubin für den Job an, der gerade das ebenfalls später legendäre Label Def Jam gründen sollte, auf welchem die Beastie Boys ab sofort veröffentlichten. Es folgten Touren mit Run DMC und sogar Madonna und 1986 das Debut-Album „Licence to Ill“, wozu sich ein interessantes Zitat auf Seite 229 von Mike Diamond findet: „Wir kamen aus dem Punkrock-Untergrund. Das war mit einer ganz klaren Haltung verbunden. Auch nachdem wir eine Rap-Band geworden waren, hatten wir uns ideell noch als Teil dieser Szene empfunden. Aber als dann plötzlich dieser riesige Erfolg über uns hereinbrach und die ganzen Sport-Deppen begannen, unsere Platten zu kaufen und in die Konzerte zu kommen, wurde uns klar, dass wir absolut keine Kontrolle über diese Dinge hatten.“ Fünf Mark ins Phrasenschwein: Der Rest ist Geschichte.

Ab hier kommen in der Beastie Boys-Autobiographie noch gut 400 Seiten Bandgeschichte. Dass jedoch die kurzen sechs Jahre vor dem kommerziellen Durchbruch ein Drittel des Buches einnehmen, hat gute Gründe. Man glaubt Diamond und Horovitz sofort, wenn sie schreiben, dass sie sich ihren punkigen Wurzeln verbunden fühlen und in erster Linie Wissen weitergeben wollen, anstatt sich selbst zu beweihräuchern. Immer wieder wird der oder die Leser*in aufgefordert, sich jetzt sofort diesen oder jenen Song anzuhören, wenn er unbekannt sein sollte. Manchmal sind es auch sehr lange Listen von Liedern, die in einer bestimmten Epoche für die Beastie Boys mal wichtig waren. Oder es wird erklärt, die das damals war, so ohne Internet oder wie das kulturelle Lebensgefühl in New York City in den Achtzigern war. In der Beastie Boys-Biographie steckt auch viel Nostalgie, was sicherlich auch mit dem Tod von Bandmitglied Yauch zusammenhängt.

Aber es enthält nicht nur Rückblicke und das beschwören guter alter Zeiten enthalten. Ausführlich wird auch die ein oder andere Jugendsünde, insbesondere Homophobie und Sexismus reflektiert und zum Beispiel erklärt, warum man keine aufblasbare Riesenpenisse mehr in den Shows präsentiert. Bei der Einsicht hat vielleicht auch geholfen, dass Adam Horovitz schon lange mit Kathleen Hanna (Bikini Kil, Le Tigre…) zusammen und inzwischen verheiratet ist.

Auch alte Weggefährt*innen äußern sich in Scharen und auch das nicht immer unkritisch. Ex-Drummerin Kate Schellenbach, frühes und einziges weibliches Mitglied der Beastie Boys, darf auch über den damaligen Sexismus der dominanten Jungs berichten und wie auf Betreiben Betreibens maßgeblich von Rick Rubin aus der Band gedrängt wurde. Sie, obendrein lesbisch, passte nicht in das Bild der frechen Jungsclique, welches Rubin für die Band vorsah und das sich bekanntermaßen auch gut verkaufen lies. Und so gibt es auch rührende Geschichten. So wie zum Beispiel die, wie sie einer frühen Fördererin der Beastie Boys aus Punkzeiten Jahrzehnte später, pleite und schwer krebskrank, eine Geschlechtsangleichung bezahlt haben, damit sie ihre letzten Jahre in einem weiblichen Körper verbringen konnte.

Neben Nerd-Talk und persönlicher Reflexion und einem wahnsinnig tollen Artwork ist die vierte Säule auch einfach nur großer Nonsense im Beastie Boys-Buch. So bekommt die bereits erwähnte Eiscremetorte Cookie Puss eine aberwitzige, eigene Oral History im Buch und ein Kapitel über einen offenbar fiktiven Schweizer Filmemacher namens Hörnblowér lässt mich etwas ratlos zurück.

Obwohl schon etwas länger im Handel *hust* lohnt sich das Beastie Boy-Buch als 600-Seitige Schatzkiste uneingeschränkt für Punk-affine Popkulturnerds. Aufgrund des umfassenden Fundus kulturellen Wissens und der bewegten und abwechslungsreichen Karriere der Band auf keinen Fall nur etwas für Die Hard-Fans. Gibt es inzwischen auch als Taschenbuch.

Michael Diamond/Adam Horovitz: Beastie Boys Buch. Deutsche Ausgabe.
Heyne Hardcore 2018
571 Seiten
40,00 Euro