Wenn der Punkopa erzählt

Mein Leben als Business Punk. Eine Lossagung.

Freund Hubba nahm mich vor ein paar Monaten zu einer Spoken-Word-Performance von Henry Rollins in eine rappelvolle Kulturkirche nach Bochum mit. Und ja, es war lustig, es war unterhaltsam, es war ein Erlebnis. Trotzdem spürte ich, je länger der Abend dauerte, wie eine zunehmende Abneigung gegen das Geschehen in mir hochkroch. Aber warum nur?

Weil Henry lieferte. Drei verdammte Stunden lang. Darunter macht er es nicht. Henry trat vor mehr als 30 Jahren in mein Leben, seitdem liefert, liefert, liefert er. Henry singt, Henry schreibt, Henry reist, Henry bleibt nicht stehen, Henry ist neugierig, Henry verschwendet keine Zeit, Henry sagt „Do it!“ und dann tut er es, Henry arbeitet immer hart …. Henry lebt ein erfülltes Leben, Arbeit ist sein Glücksversprechen.

Fuck it! Viel zu lange habe ich im Team Henry mitgespielt.

Ich hatte die Wahl. Das Team Poison Idea lockte mit Nihilismus, Drogen und Entgrenzung. Deny everything! Das machte mir Angst. Ich entschied mich lieber für „Think positive“ (7 Seconds) und DIY-Ethik. In dem Glauben, dass wir in der Szene den neuen, besseren Menschen buken. Henry und sein Kumpel Ian waren meine Vorbilder.

Ich begann zu liefern. In einer Band spielen. Checked. Für ein Fanzine schreiben. Checked. Konzerte veranstalten. Checked. Vor allem Konzerte waren mein Ding. Plenum, Organisation, Werbung, Improvisation („Mist, die haben doch kein Schlagzeug mitgebracht. Was machen wir jetzt?“) Verantwortung, Abrechnung. Herrlich! Ich leistete etwas für die Szene, brannte für die Sache. Das war mir so wichtig. Insgeheim verachtete ich die, die einfach nur mit einem Bier in der Hand ihren Spaß hatten und auf die ethics pfiffen. Und manchmal verachtete ich mich, weil ich zu schwach war, um auf Bier und Zigaretten zu pfeifen. Ian brauchte das doch auch nicht. Ohne diese Krücken hätte ich bestimmt noch mehr leisten können.

In der Arbeitarbeitswelt war ich so hochwillkommen. Flache Hierachien, Zupackmentalität, Improvisationstalent, Problemlösungskompetenz, Belastbarkeit, Authenzitiät. Das hatte ich doch alles in der DIY-Schule gelernt. Gar nicht so insgeheim verachtete ich die, die sich hinter einem „dafür bin ich nicht zuständig“ versteckten oder einfach keine Lust hatten. Ich war ein nützlicher Idiot. „Wenn einer das Problem lösen kann, dann sie.“ „Danke Chef, ich kümmere mich darum.“ In meiner Freizeit kritisierte ich scharf den Kapitalismus und riss dem Neoliberalismus die Maske vom Gesicht und fühlte mich schlauer als der Rest. Konzerte veranstalten, schreiben und ein Label mussten nebenher natürlich auch noch sein. Ich wollte liefern, liefern, liefern ….

… dann wurde es dunkel. Und mit ein wenig professioneller Hilfe wurde es wieder heller. Und ich erkannte spät, was lange schon offensichtlich war. Meine vorgebliche Dissidenz war ein gespielter Witz. Ich war ein Premium-Schmieröl für die große Maschine, die sich auch DIY einverleibt, weil es ihr nützt. Ich war ein selbstoptimierter Business-Punk.

Eine sehr ernüchternde Bilanz. Aber ich habe es noch gerade so rechtzeitig gemerkt. Und jetzt lerne ich Schritt für Schritt das Nichtstun. Das ist nicht schlecht. Tschüss Henry.

Inspirationsquelle für diesen Text waren die Bücher von Carl Cederström und André Spicer. „Das Wellness Syndrom. Die Glücks-Doktrin und der perfekte Mensch“, „Auf der Suche nach dem perfekten Ich. Ein Jahr in der Optimierungsindustrie“, „Die Phantasie vom Glück“. Alle in der Edition Tiamat erschienen.

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