Debbie Harry: Face it. Die Autobiographie (Buch)

Debbie Harry ist eine faszinierende Person. Die platinblonde Sängerin der Band Blondie, die sich als Underground-Sexsymbol kreierte, war selbst in der wilden New Yorker Avantgardeszene der frühen Siebziger eine Ausnahmeerscheinung. Sie schaffte mit ihrer als Punkband gestarteten Band den kommerziellen Durchbruch mit Disco- und Popsounds, ohne ihre Untergrundwurzeln wirklich zu kappen. Sie war Hauptinspiration für eine gewisse Madonna Louise Veronica Ciccone, die Harrys Stil weitestgehend kopierte und damit als „Madonna“ ein Weltstar wurde. Doch das ist eine andere Geschichte. Hier geht es zunächst einmal um Debbie Harry, deren Memoiren kürzlich im Heyne-Verlag auf Deutsch erschienen sind.

Die kleine Debbie war ein Adoptivkind und wuchs bei Pflegeeltern in New Jersey auf. Obwohl die Harrys nicht reich waren, sollte es ihr an nichts fehlen. Die Familie besaß bereits in den 50ern einen Fernseher, so dass Debbie früh mit amerikanischer Populärkultur in Berührung kam, besonders mit einer Figur, die sie fortan prägen sollte: Marilyn Monroe, mit der sie sich identifizierte, auch weil sie ebenfalls Pflegekind war. Mit 18 hatte sie schließlich genug und zog in ihre Traumstadt New York. Sie arbeitete meist in schlechten Jobs im Gastro-Bereich, auch als Playboy-Bunny auf Partys, aber ebenso im legendären Max‘s Kansas City, der ersten Brutstätte des New Yorker Punks, noch vor dem CBGBs. Dort trieben sich neben den Warhol-Superstars auch Patti Smith, die New York Dolls, David Bowie, Iggy Pop und viele andere rum, die später einmal für Punk wichtig werden sollten.

Debbie Harry war bereits seit den späten Sechzigern Mitglied der Folkband Wind In The Willows, aber erst Mitte der Siebziger gründete sich Blondie – „ihre“ Band – aus der Band Stilettos.  Ihre weiterhin an Marilyn Monroe angelehnte Bühnenfigur war revolutionär. Tatsächlich war der Name nicht als Verweis auf Hitlers Schäferhund gedacht, sondern sowohl an eine Comicfigur der dreißiger Jahre, die aufgrund ihres guten Aussehens stets unterschätzt wird und am Ende doch jedes Mal clever die jeweilige Geschichte löst. Andererseits war „Blondie“ einfach das „Kompliment“, welches ihr Bauarbeiter auf der Straße hinterher gebrüllt haben sollen. In diesem Gegensatz sieht man schon die verschiedenen Ebenen der Blondie-Figur. Debbie Harry spielt mit dem Bild der anachronistischen US-Amerikanerin, deren Hauptfunktion es war, süß auszusehen und ihrem Ehemann einen Kuchen zu backen, während Debbie im Großstadtuntergrund harte Drogen nahm, wechselnde Sexpartner hatte und Frontfrau einer Punkband wurde. Dieser ironische Ansatz war etwas, was damals noch schwer verständlich war – für Männer und Frauen. Jetzt, 40 Jahre später und mit ständigen ironischen Verweisen in der Kulturindustrie, leuchtet vieles mehr ein. Doch damals hat kaum jemand verstanden, dass das „dumme Blondchen“, welches Harry auf der Bühne darstellte, eine Kunstfigur und ein gesellschaftlicher Kommentar im Sinne ihres Freundes Andy Warhol war, der mit seiner Kunst Konsum und Warenproduktion des kapitalistischen Amerika eher parodierte als glorifizierte.

Harry stand auch in der progressiven New Yorker Szene weitestgehend alleine da. Als sie mit Blondie anfing, gab es kaum Frontfrauen in der Rockmusik, erst recht nicht in New York. Die geheimnisvolle Nico wurde schon Jahre zuvor aus den Velvet Underground durch den eifersüchtigen Lou Reed rausgemobbt und die Hippie-Poetin Patti Smith, die etwa zeitgleich mit dem Musikmachen begann wie Blondie, sah in anderen Musikerinnen eher eine Konkurrenz (ich vermeide das Wort „Stutenbissig“, auch wenn es passt) und gab sich bekanntermaßen sowieso demonstrativ anti-feminin.

In „Face it“ geht auch es viel um den Sexismus, den Harry zeitlebens ausgesetzt war und der sich gelegentlich sogar gewalttätig und bereits im Kindesalter gegen sie entlud. Dass man ihr bereits als kleines Mädchen einen „Schlafzimmerblick“ bescheinigte, ist auch eine dieser Aussagen, die heute als zumindest fragwürdig betrachtet werden dürften. Oft scheint es dennoch, dass Harry die Oberhand und die Kontrolle über die Typen um sich herum behält, aber nicht immer. So beschreibt Harry, die gerade Spaß am Musikmachen gefunden hat, dass sie es unverschämt fand, als ein reicher Liebhaber sie nach Los Angeles holen wollte, obwohl sie gerade ihre erste Band in New York hatte. Andererseits: Wenn es gerade passte, lies sie sich von reichen Männern durchaus auch aushalten, bestimmte jedoch selbst, in welchem Rahmen und bis wann. Das wäre auch in der damals entstehenden Frauenbewegung kaum als emanzipiert wahrgenommen worden, heute kann man dies getrost unter Selbstbestimmung verbuchen. Doch diese hatte auch ihre Grenzen, die einige Männer nicht akzeptierten. Das Blondie-Lied „One way or another“ handelt von einem real existierenden Exfreund und späteren Stalker von Harry, der sie über Jahre terrorisierte.

Gerade von Männern wurde eben nicht verstanden, dass die Frontfrau von Blondie zwar gern attraktiv ist und gern konventioneller Schönheitsideale entspricht, dabei aber sehr darauf achtet, warum sie was tut. Dass Debbie Harry eine Freundin freier Sexualität war, wurde wohl von vielen Männern so gedeutet, dass sie eine Art Spielzeug ist, sowohl im Privaten als auch als Blondie-Frontfrau. Das Bewusstsein für eigene weibliche Sexualität gab es offenbar nicht. Es wurde nicht verstanden, warum Debby Harry gern als spärlich bekleidetes Pin Up für Underground-Fotografen posierte, aber warum sie ein Problem damit hatte, wenn ähnliche Fotos von ihr aus Werbegründen auf Plakatwänden erschienen. Dank Initiativen wie „Pinkstinks“ ist sowas heute einleuchtender. Damals nicht. Randnotiz: Diesem spezifischen Sexismus, dieses chronische Unter- und Geringschätzen von Debbie Harry, fand ich auch noch in späteren Texten. So behauptet Steven Lee Beeber in „The Heebie-Jeebies im CBGB’s“, seinem Buch vor gut 10 Jahren erschienenen Buch über die jüdischen Wurzeln im New York Punk, Blondie-Musiker und Lebensgefährte Chris Stein hätte die „Punkprinzessin“ „erschaffen.“

Der kommerzielle Erfolg ab den späten Siebzigern brachte Beschwerlichkeiten mit sich. Die Zeit aus ständigen Touren und dem hohen Output an Alben wird in „Face it“ hart beschrieben. Von den musikalischen Ursprüngen des Punkrock entfernen sie sich zunehmend. Discosound ziehen ein, auch Reggae-Stücken wie „The Tight is high“ kamen ins Programm. Dass die Band sich aber keinesfalls von ihren Punkwurzeln entfernte liegt auch daran, dass die Wurzeln des New Yorker Punk ganz andere waren: Experimenteller und weniger auf musikalische Genres wie Rock festgelegt. Avantgardebands wie Suicide konnten gleichwertig neben Gitarrenbands wie den Ramones oder den Dictators bestehen und wurden als eine Szene betrachtet. Und der Vollständigkeit halber: Auch Disco hat seine Wurzeln nicht etwa in kommerziellen, entpolitisierten Vergnügungsbutzen, sondern in illegalen Partys von hauptsächlich schwarzen und lateinamerikanischen Schwulen in alten Fabriketagen in den späten Sechzigern – ähnlich wie die queere „Factory“ von Andy Warhol zeitgleich mit The Velvet Underground Punkgrundsteine ein paar Straßen weiter legte.

Nachdem sich Blondie Mitte der 80er auch aufgrund der schweren Erkrankung von Chris Stein auflöste, wurde es ruhiger um Harry. Die spielte hauptsächlich Nebenrollen in Filmen und war als Solokünstlerin deutlich weniger im Rampenlicht. Reich ist sie auch nicht geworden. Im Gegenteil. Ende der Achtziger war sie durch einige falsche geschäftliche Entscheidungen komplett pleite. Diese etwa 15 Jahre werden relativ kurz in „Face it“ abgehandelt. Erst als die Band Mitte der Neunziger wieder aktiv wird, geht auch Harrys Autobiographie wieder mehr in die Details.

„Face it“ ist in weiten Teilen eine Biographie der Band Blondie aus Sicht ihrer Frontfrau. Blondie-Fans kommen sicher auch auf ihre Kosten, aber das muss nicht zentrales Element sein. Was das Buch darüber hinaus aber so lesenswert macht, ist die Reflexion ihrer eigenen Rolle, die oft die einer Pionierin war und gleichzeitig eine Geschichte von Sexismus in er Pop- und Rockmusikszene – auch dem Punk. Harrys Autobiographie ist keine Kampfschrift, aber irgendwo auch ein feministisches Manifest des Dritte-Welle-Feminismus, etwa 30 Jahre bevor es diesen gab.

Philipp Meinert

Debbie Harry: Face it. Die Autobiographie.
Heyne Hardcore
432 Seiten
25.00 Euro