Die Ärzte im Interview zum neuen Album „Dunkel“

„Wir wollten nicht noch ein ‚übrigens: Scheiß Bullen!‘ beisteuern.“


Aus einer dreiviertel Stunde Gespräch mit den Ärzten ein geordnetes Interview abzutippen ist gar nicht so einfach. Nachdem sie früher gern auch mal misanthropisch frotzelten, trifft man diesmal zum Termin in Berlin drei bestens gelaunte Herren, die mit Vorliebe kichernd rumalbern, abschweifen und sich ins Wort fallen. Nach jahrelanger Funkstille wirken Bela, Farin und Rod seit ihrem letzten Album „Hell“ (2020) als wären sie nie aus ihrer Funpunk-Pubertät der 1980er herausgekommen. Jetzt erscheint kaum ein Jahr später „Dunkel“ und der Zustand hält offenbar an. Gleichzeitig drängen sie mit der neuen Platte musikalisch wieder mehr ins Punk-„Kerngeschäft“, auch textlich geht es explizierter und politischer zu.
Im ausführlichen Interview schwärmen sie außerdem über ihre Punk-Wurzeln, beschäftigen sich mit toxischer Männlichkeit und erzählen von ihrer ihre Liebe zur gebrochenen Erwartung.
Gast-Interview von Karsten Kriesel
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Rod: (mit Blick auf mein Shirt) Mad Sin! Yeah!
Bela: Hast Du das T-Shirt extra für uns angezogen?
K: Ich dachte, die Kombination Berlin & Mad Sin passt, außerdem kann ich mich tatsächlich noch gut an Mad Sin als Euren Support in den 90ern erinnern.
Bela: Es gibt eine schöne Geschichte mit Mad Sin, eines unserer härtesten Tourerlebnisse: Jemand hatte uns eine Tour gebucht, da haben wir in Stuttgart gespielt und dann am nächsten Tag auf Rügen. Stuttgart – Rügen, ohne Autobahn in Norddeutschland, die gab es da noch nicht. Also Landstraße, insgesamt 14 Stunden. Mad Sin waren Support und haben zwei Stunden gespielt um die Leute bei Laune zu halten.
Farin: Weil wir viel zu spät waren…
Bela: Außerdem hatten die Leute vor Ort Schiss, weil ein Nazi-Überfall angedroht war. Überall war Polizei, die Band kam nicht. Und da hat Koefte das echt gut gemacht!
K: Danke für den Einstieg. Ich hätte jetzt auch ein paar Fragen.
Farin: Wir machen es dir leicht und antworten sofort: 42!
K. Zum Release von Hell habt ihr die Tagesthemen eröffnet. Zwei Tage nach dem Release von Dunkel ist Bundestagswahl: Auf welche Staatstragende Aktion müssen wir uns diesmal gefasst machen?
Rod: „Our Bass Player hates this Song“ ist ja quasi der Soundtrack zur Wahl!
Farin: Genau, das ist schon Sinn der Sache, dass die Leute das gerade noch rechtzeitig hören!
Bela: Ich habe schon einen Tisch reserviert bei der Elefantenrunde für uns. Da sitzen wir dann einfach nur und sagen nichts.
K: Nach jahrelanger Pause gibt es jetzt innerhalb eines Jahres zwei Alben und es stehen drei Touren an.
Farin: Ja, wenn wir einmal Anlauf nehmen, dann aber!
K: Davor war die Luft ja offenbar ein bisschen raus…
Farin: Ja, nicht nur ein bisschen… Aber die Luft ist wieder drin! Es war eine lange, einsame Zeit!
K: Wie kam es zu zwei so schnell und per Titel auch logisch aufeinanderfolgenden Platten?
Bela: Wir hatten uns auf der kleinen Europatour 2019 zum Ziel gesetzt, zu beschließen, ob und wie es mit den Ärzten weiter geht. Das war mir bei der ersten Show klar, Farin wollte bis zur dritten warten und Rod hat irgendwann gesagt, „Ja, macht mal.“
Dann haben Rod und ich angefangen, Songs zu schreiben. Farin hat sich gesagt, häufe ich mal noch ein paar drauf zu den 20, die ich schon habe.
Wir hatten tatsächlich für Hell so viele Demos, dass wir schnell wussten, wir können zwei Platten damit füllen. Was machen wir jetzt mit dieser Luxussituation? Das hatten wir noch nie. Vielleicht eine nur digital, die andere analog und später drehen wir das um?
Dann war aber klar, wir machen ein bisschen Pause und haben uns im März 2020 wiedergetroffen … Da wussten wir: vielleicht machen wir doch erstmal nur eine Platte. Wir mussten ein neues Studio suchen, das zuerst reservierte ging unter Corona-Bedingungen nicht mehr. Dann haben wir halt erstmal „Hell“ fertig gemacht. Mit dem großen Vorteil…
Farin: … das wir aus so vielen Songs auswählen konnten: Das erste Mal in der Geschichte der Band hatten wir daher die Kopplung der Platte schon ganz früh fertig, da waren die Songs noch lange nicht fertig aufgenommen. Wir haben versucht, da eine Dramaturgie rein zu bringen.
Bela: Hier haben wir noch einen Song getauscht: Anti, der jetzt auf Dunkel ist gegen Plan B, der einfach besser zur Situation gepasst hat. Und in der irrigen Annahme, dass in einem Jahr die Querdenker verschwunden sein werden, haben wir den Verschwörungstheoretiker Song aufs erste Album gepackt.
Farin: Und nachdem klar war, dass wir die Tour letztes Jahr nicht spielen können, haben wir uns erstmal wieder für ein paar Monate voneinander getrennt und dann nochmal 14 Songs geschrieben .


K: Mit Eurer ersten Single „Noise“ gibt es ja sogar mal wieder einen Song, den Ihr, Farin und Bela, zusammengeschrieben habt…
Bela: Noise war eigentlich schon auf der Hell-Session ausgesiebt. Aber mir gefiel der Refrain so gut und ich habe Farin gefragt, ob es ok ist, wenn ich an dem Song ein bisschen was verändere. Er meinte: Mach mal, 50% Gema-Anteil ist immer noch besser als gar keine. Und es hat ihm gefallen, was ich draus gemacht habe. Als der Mix dann fertig war dachte ich: Das ist so erwartbar Ärzte, dass es eigentlich schon wieder ungewöhnlich ist. Der letzte Song, den Farin und ich 50/50 geteilt haben war „Schrei nach Liebe“ oder mal eine B-Seite. Wenn ich jetzt Fan wäre und das ist die Ärzte Single, das wäre ja, als würden sie mir ein MonCherie, gefüllt mit einem Merci reichen.
Rod: Iih!
Farin: Bäh!
K: Was die reine Gema-Ausschüttung angeht, wirst du, Rod, dich wohl um Nebenjobs bemühen müssen…
Rod: Klar, ich habe gerade meinen Taxischein gemacht und arbeite halbtags im Testzentrum.
K: Jetzt stehen ab Ende des Jahres quasi drei Touren an. Besteht da nicht die Gefahr, dass Ihr Euch wieder auf den Keks geht?
Farin: Die Gefahr besteht schon immer. Aber im Augenblick ist die Euphorie groß. Was wir dieses Mal anders machen: Es wird Unterbrechungen in den Touren geben, wo man auch mal jemanden anderes sehen kann oder eben Niemanden. Drei Touren klingt jetzt natürlich recht viel, aber gerade die Berlin Tour wird ja im Grunde nur ein einziger Riesenspaß.
Bela: Oder Desaster, je nachdem.
Farin: Das ist ja der Spaß! … Ja, wir haben das auf dem Zettel und Kiki, unser Tourbooker, hat da auch von sich aus drauf geachtet.
K: Es gab zwischen den Veröffentlichungen der Platten und den anstehenden Konzerten noch nie so viel Lücke. Wird live nicht allein schon „Hell“ unter „Dunkel“ leiden…
Alle drei: Klar!
Farin: Wir wissen selber noch nicht, wie wir das lösen!
Bela: „Jetzt spielen wir was von der neuen Platte!! … Und jetzt spielen wir was altes…von der anderen neuen Platte!“

Portraitfotos (c) Jörg Steinmetz
K: Weil Ihr vorhin von der Dramaturgie auf Hell spracht, die gibt es ja auf Dunkel auch, das Album ist deutlich rockiger, geradliniger und punkiger als sein Vorgänger. Also wieder zurück zum „Kerngeschäft“, wie es in einem Song heißt?
Farin: Sehr gut!
Bela: Richtig! Es ist schon jeder Song unterschiedlich, aber es gibt nicht so viele Experimente. Es ist mehr ein Bandalbum in dem Sinne. Die ganze Platte, bis auf Tristesse vielleicht, der ist speziell, könnte man halt so in diesem Triumvirat hier durchspielen.
K: Lust auf kryptische Songtitel hattet Ihr diesmal auch nicht?
Bela: Die Idee, dass jeder Song nur ein Wort im Titel hat, ist natürlich nur dazu da, um auf den letzten Titel hinzuweisen. Der hat dann gleich auch einen Entertainmentfaktor, weil er etwas über die Band erzählt.
K: Wer hat eigentlich das Intro zu „Our Bass Player Hates This Song“ gesprochen? Peter Lustig kann es ja nicht mehr gewesen sein…
Bela: Peter Lustig hat dieses Zitat eh nicht gesprochen, das ist eine Phantasie, wie wir jetzt auch erst herausgefunden haben. Das ist so nie gesagt worden, auch nicht vom Sprecher der Maus. Das waren Comedians, die das persifliert haben und da kam dieser entscheidende Satz dabei heraus. Wir haben den Sprecher von der Maus nicht bekommen, da hat sich der WDR quergestellt. Also haben wir einen befreundeten Stimmimitator, Sefan Kaminsky, um Hilfe gebeten.
K: Eurer Humor ist gern mal infantil, allerdings gab es auf Hell und jetzt auch auf Dunkel verstärkt Momente, wo sich dieser auch aus dem Alterserleben speist. Steuert Ihr da auf der Bühne zum Ausgleich wieder tiefer Richtung Gürtellinie?
Farin: Ja, unbedingt!
Rod: Du meinst den guten alten Herrenwitz?!
Bela: Das passiert schon mal, wenn bei einer Sache mehr gelacht wird, dass man sich ein bisschen in der Einbahnstraße des schlechten Humors verliert, weil man denkt, das kommt an. Da muss man ein bisschen aufpassen. Aber die Gefahr besteht bei Dunkel weniger, es ist ja nicht nur ein härteres Album, es ist auch ein ernsteres Album.
K: Ernster heißt also auch erwachsener?
Bela: Wäre ja auch doof, wenn das Leben komplett an uns vorbei ziehen würde. Irgendwann in unserer Karriere haben wir begriffen, dass wir nicht Motörhead, AC/DC oder die Ramones sind, die ihr Ding so durchziehen können. Das entwickelt sich weiter.
Farin: Dieses Irgendwann war ungefähr beim zweiten Album.

Credit: Jörg Steinmetz


K: Ihr habt ja enorme Vorschusslorbeeren und könnt Euch musikalisch fast alles erlauben, man kauft es Euch trotzdem ab. Macht es das beim Songwriting manchmal auch schwerer, wenn man keine Erwartungen hat, gegen die man kämpft?
Farin: Da verwechseln ganz viele Ursache und Wirkung. Das ist ein wichtiger Punkt zum Verständnis dieser Band: Wir haben angefangen damit, die Erwartungen unserer Punkfreunde zu unterlaufen. Wir haben uns beim ersten Konzert auf eine kleine Punkbühne gestellt und gesagt: Wir sind übrigens Popstars und haben unsere Version von Popmusik, die damals extrem rudimentär war, als Punker für unsere Punkfreunde gespielt. Wir wollten nicht noch ein „übrigens: Scheiß Bullen!“ beisteuern.
Bela: Und als wir dann keine Punkerfreunde mehr hatten…
Farin: …das ging recht schnell, haben wir uns an die Studenten rangeschmissen. Aber wir machen nicht, was wir wollen, weil wir Erfolg haben, sondern ich glaube, es ist genau umgekehrt. Wir haben Erfolg, weil die Leute wissen: Wir sind die Ärzte und mal kucken, was heute passiert. Das ist für Viele ein Argument für uns, wenn man eben nie so genau weiß: Ist das jetzt Gag, ist das jetzt ernst, wo sind wir musikalisch gerade? Dass wir damit immer noch oder schon wieder Erfolg haben, überrascht uns selber. Aber wir nehmen das eher so zur Kenntnis. Der Erfolg steht auch gar nicht so auf dem Zettel. Was uns kickt, ist immer noch dasselbe: Wenn ich ein Lied schreibe, will ich, dass die beiden hier sagen: Nicht dein Ernst, oder? Was bei „Our Bass Player hates this Song“ total gut funktioniert hat…
K: Also keine Hemmungen oder Gedanken an die Außenwelt beim Songwriting?
Farin: Wenn wir heute Lieder schreiben, ist mittlerweile eine große Sorge da, dass wir uns wiederholen. Was auch passiert: Ich fange einen Text an und denke: Was für eine geile Idee … die Bela vor drei Alben schon mal hatte. Dann fange ich wieder von vorne an.
Bela: Bei „Woodburger“ war z.B völlig klar, den hätte er in keiner anderen Band seinen Mitmusikern auch nur vorgespielt. Und auch „Our Bass Player…“ ist ein Song, den er jetzt nicht unbedingt anderen Leuten mit Stolz vorgespielt hätte und konnte nur hoffen, dass wenigstens einer von uns den Humor darin sieht.
Rod: Und einer halt nicht…
Bela: Der war dann für den Titel zuständig…
Farin: Wir machen uns ganz selten Gedanken um Außenwirkung. Bei Woodburger haben wir tatsächlich darüber nachgedacht, „kann man das bringen“? Und wir dachten: Ja, man kann und muss, aber es wird Diskussionen geben. Gab es ja auch.
K: Abseits aller Infantilität ist ein Thema, was Euch auf den letzten Alben immer wieder umtreibt, toxische Männlichkeit. Auf „Dunkel“ gibt es mindestens drei Song zu diesem Thema…
Bela: Naja, die Markforschung hat herausgefunden, dass immer mehr Frauen…
Alle drei lachen laut.
Farin: Im Ernst: Man macht das ja nicht mit Absicht, sondern wenn wir dann die Songs fürs Album auswählen, sind wir manchmal selbst überrascht. Das Thema hat uns offenbar umgetrieben. Femizide bestürzen uns! Aber als „lustige Punkband“ kannst du dich auch nicht mit dem Zeigefinger hinstellen und den Leuten den Abend versauen. Wir suchen dabei nach einem Ansatz, der am Ende noch irgendwie „Rock-kompatibel“ ist. Selbstreflexion ist dabei auch ein Thema vom Älterwerden und Reifen. Man kann sich ja selbst auf die Schippe nehmen und gleichzeitig ertappen.
K: In den 1990er wurdet Ihr in Punkkreisen noch häufiger mit dem Vorwurf „Kommerz“ belegt. Heute genießt Ihr weitgehend Szenekredibilität, trotz anhaltendem Pop-Erfolg.
Farin: Auf den Alben mag das „poppig“ sein, aber auf den Konzerten wird ja alles wieder runter gebrochen. Wenn man nicht stirbt, sagen die Leute halt irgendwann: Na gut, komm!
Bela: Wir sind ja nicht mit Szenekredibilität gestartet. Farin und ich haben mit unserer Punkband Soilent Grün in so ziemlich jedem Kreuzberger Loch gespielt und hatten unser Abschiedskonzert vor dem ersten Konzert der späteren Toten Hosen: Da hatten wir ein bisschen Kredibilität unter Punks, die dann zu unseren ersten Ärztekonzerten kamen. Und dann kam plötzlich diese Bravo-Sache, obwohl wir eigentlich nichts vorzuweisen hatten. Aber wir haben uns gedacht, warum sollen wir das nicht mitnehmen, es ist ja eh nur ein Moment in unserem Leben, dass die Bravo was über uns schriebt. Aber Kredibilität kam erst durch Ausdauer. Wir sind halt eine Konstante.
K: Kann man heute, wo sich alles mischt, überhaupt noch von Punk als kohärenter Szene sprechen? Bedeutet Euch das noch etwas?
Farin: Ich kann nur von mir sprechen: Die Sozialisierung mit Punk und Pubertät im glücklichen Zusammentreffen, war bei mir total wichtig und formt mich bis heute. Wir arbeiten uns an dem Thema „Punk“ auch immer wieder in verschiedenen Perspektiven ab. Aber ich kann nicht mehr behaupten, dass ich mich einer heutigen Strömung zugehörig fühle. Hey Ho, du Jugendbewegung, ich bin fast 60, aber da bin ich wieder!
Bela: Das hatte früher so etwas verschwörerisches: Du hast dich mit Leuten getroffen, die alle von der Außenwelt nicht verstanden worden. Heute kann meine Mutter Punk erklären.
Klar, man trifft sich auf Konzerten. Aber es ist nicht mehr so eine eingeschworene Bewegung abseits der Außenwelt. Heute denkt man bei Punk in erster Linie an Musik und man hat eine ungefähre Richtung. Aber das ist nie unser Verständnis von Punk gewesen.
K: Es ist ja auch nicht unbedingt schlecht, dass es heute offener ist…
Bela: Klar, und man kann als Band ja auch nicht immer etwas dafür, wie und von wem man wahrgenommen wird. Aber ja, ich freue mich, wenn ich eine gute Band sehe und es dort gut abgeht. Und wenn sich dann immer noch ein paar Leute klischeemäßig verhalten, dann ist das willkommen und cool.
K: Ihr wart nie die großen Fahnenschwenker, trotzdem sind die politischen Töne auf Dunkel wieder deutlicher. Seht Ihr Euch als Künstler wieder mehr in der Verantwortung?
Bela: Stellung zu beziehen ist zum einen gerade wieder angepfiffen, klar! Bei „Doof“ stand ja erstmal der Text „Mit Nazis reden“ von Wiglaf Droste Pate, aber zum anderen war die Idee, mal wieder ein schönes Sing-along gegen Nazis zu machen. Fast ein bisschen naiv dahin gesungen, aber cool!
Bei Bass Player, den Farin geschrieben hat, war wirklich der Titel Programm. Ich dachte schon bei dem Text, das können die Ärzte eigentlich nicht machen, Rod schimpfte nur „das ist doch nicht dein Ernst, jetzt erklärst du den Leuten hier so „Sendung mit der Maus“-mäßig, was Demokratie ist, spinnst du?!“ Darauf meinte ich: Genau deswegen, es ist das letzte No Go, was die Ärzte noch nicht gemacht haben.
Ich finde den Text gut und kann das inhaltlich sowieso unterschreiben. Aber vor 15 Jahren hätte ich wohl selbstrituellen Harakiri begangen, wenn ich mich dabei erwischt hätte, das gut zu finden. Heute lache ich dabei: Das sind wir, die das spielen, das musst du dir mal vorstellen!
Farin: Die staatstragenden Ärzte!
Bela: Vielleicht ist das krasser als jeder Indizierungs-Song, den wir geschrieben haben.
Farin: Aber um es mal auszusprechen: Viele Leute hier in Deutschland nehmen Demokratie als gegeben und garantiert hin: Ist halt da und nervt. Die Leute nehmen das nicht ernst. Aber fahre mal in ein Land, wo es keine Demokratie gibt. Ich reise viel und war in einigen Diktaturen zu Gast: Das will ich nicht! Ich will niemals so leben müssen! Wo ich keine freie Wahl habe, wo mir gesagt wird, was ich zu machen habe und wenn ich das nicht tue, kriege ich auf die Fresse, werde eingesperrt oder gleich umgebracht. Das hat vielleicht auch mit dem Alter zu tun, aber mir war das wichtig, das zu sagen! Deswegen dieses unfassbar spießige Lied, von dem ich froh wäre, wenn man es nicht brauchen würde.
Bela: Immerhin hast du erreicht, das wenigstens ein Bandmitglied jetzt stark an der Demokratie zweifelt. (Alle lachen) Am Ende finde ich es gut, wenn der Song der meistgespielte im Sachkundeunterricht wird.
Farin: Statt drei Wochen darüber reden: Drei Minuten Ärzte Song reicht!
K: Ich habe Euch in Sachen Crew um Euch immer als sehr familiär wahrgenommen. Allerdings gab es in den letzten Jahren auch einige klare Veränderungen. Waren das nur künstlerische Entscheidungen?
Bela: Es gab viele Wegbegleiter der Band, die auch oft sehr eng mit uns sind und waren. Unser Lichtmann ist unser Dienstältestes Crewmitglied seit 1984 gewesen, der hat aus gesundheitlichen Gründen aufgehört. Bei Schwarwel, der viele Jahre unser Artwork gemacht hat, gab es unter anderem Querelen mit dem Management. Manchmal ist es dann eben vorbei. Am Ende sind wir drei die entscheidende Band, die anderen unterstützen uns und ohne die geht es auch nicht! Wir lieben die und haben diesen Family-Gedanken! Aber es kann eben auch im Einzelnen auseinandergehen. Nur wenn die Band auseinander ginge, dann gehen alle auseinander.