Wenn der Punkopa erzählt

„Ein halbes Stündchen sollten wir noch warten.“ Wieso habe ich mir eigentlich immer eingeredet, dass mir das Spaß macht?

21:15 Uhr und ich gehe zum fünften oder sechsten Mal raus auf die menschenleere Straße vor dem Club. Es regnet, es ist heiß, es schneit, es geht ein scharfer Wind, es ist noch hell, es ist Sonntag, es ist Montag. Irgendwas ist immer. Dummerweise habe ich mein Smartphone nicht ausgeschaltet. Schon wieder eine WhatsApp. „Schippy, ich bin raus heute. Sorry. Euch viel Spaß! [verlogener Tränen-Smiley]“ Netflix, Serie, Sofa, Chips, vermutlich schon keine Hose mehr an, so sieht es doch aus, du mich auch! Und wo sind eigentlich die 77 Arschnasen mit dem schnellen Finger auf der Maus, die „interessiert“ gedrückt haben? Mir ist flau.

Zurück in den ebenfalls fast menschenleeren Club und schnell noch ein Bier trinken für die Betäubung. Ich erwische mich bei einem nostalgischen Anflug. Früher im Eschhaus waren eigentlich immer mindestens 150 Leute da. Das waren noch Zeiten.

Eine handvoll Freunde steht an der Theke. Sie haben sich aufgerafft und haben Hosen an. Nett von ihnen. Sie hätten heute auch mehr Lust auf Netflix, Serie, Sofa und Chips gehabt. Ich ahne es und habe ein schlechtes Gewissen.

Ich setze mein hoffnungsfrohes Gesicht auf, gehe zur Band, die gerade einen Merch-Berg auftürmt und sage den Satz: „Ein halbes Stündchen sollten wir noch warten.“ Natürlich könnten wir auch sofort anfangen. Die Band weiß es, ich weiß es, es wird nicht voller werden, aber so sind die Regeln.

Ich entscheide mich, schon vor dem Auftritt mit Schnaps zu arbeiten und gehe mit einem Tablett rüber zur Band. Mit einem „Macht nix, Schippy. Wir sind gerne hier und freuen uns auf den Auftritt“ wird höflich die Enttäuschung überspielt, vielleicht auch wegen meinem traurigen Hundeblick. Der ist echt. Ein wird-sicher-toll-gleich-Gesicht kriege ich nicht mehr hin.

Die Nebelmaschine ist auf „dichter Nebel“ eingestellt und wir bilden artig einen Halbkreis vor der Bühne. Ich bleibe für den Auftritt wie festgenagelt an meinem Platz stehen, obwohl ich eigentlich aufs Klo müsste, vielleicht sogar groß. Am Ende klatschen 16 Händepaare was das Zeug hält. Natürlich sind wir alle total zufrieden. So sind die Regeln. Die Band: „War doch geil.“ Die 15 zahlenden Gäste: „Toll, dass du die nach Duisburg geholt hast. Die waren super. Die Anderen haben was verpasst.“ Ich: „Ich nehme alle Platten. Das T-Shirt. Den Aufkleber. Und die Kassette.“

Jetzt noch die Kasse machen. Ich bin betrunken und für den eigentlich vereinbarten Tür-Deal wie immer zu weich. Kurz frische Luft schnappen, um noch Geld aus der Wand zu ziehen. Mein Ablasszettel quasi. Mit einem „Kein Problem, ist schon okay“ drücke ich der Band ein paar Scheine in die Hand. Das Schlusswort hat der Clubbesitzer: „War schon gut heute, aber wann machst du mal wieder ein volles Konzert?“

Epilog: „Die neue Band von X. Klar kenn‘ ich. Der war doch vorher bei Y. Hab‘ ich alle Platten von. Schon sperrig, aber in Berlin im Z haben die noch letztens vor 50 Leuten gespielt. An einem Montag? Warum nicht, muss nur fragen, ob der Termin frei ist. Sollte klappen.“