Yok: Taxitanic (Review)

In diesem Jahr wird die Berliner Taxi-Innung, eine Interessensvertretung der Branche, 125 Jahre alt. Natürlich fuhren 1900 noch keine beigen Autos mit schwarz-gelben Schildern auf dem Dach die feinen Damen und Herrschaften der preußischen Metropole über das Pflaster. Es standen Pferdekutschen als Beförderungsmittel zur Verfügung.

So lange war Yok natürlich nicht dabei. Aber immerhin über 30 Jahren hat er in diesem Gewerbe auf dem Buckel. 1989 macht der Musiker, der vielen im Punkkontext auch unter dem Namen „Quetschenpaua“ kennen, seinen Personenbeförderungsschein, kurz P-Schein, und bekam damit die Erlaubnis, Menschen in einem Auto  herumzufahren. Als Teil der autonomen Kleinkunstszene sah er seine Kunst nie als konstante Einkommensquelle und verdiente sein Geld lieber immer als Kutscher in Berlin.

Kleine Geschichten aus dem Taxialltag veröffentlichte er immer mal wieder auf seiner Homepage und 2012 erstmalig in Buchform unter dem Namen „Punkrocktarif.“ Es sind die skurrilen, die ärgerlichen, die rührenden und die traurigen Geschichten seiner Fahrgäste, seiner Kolleg*innen oder zufällig daherkommender unbeteiligter Passant*innen, die Teil eines weiteren Erlebnisses werden und die Yok regelmäßig verschriftlicht hat und als kleine Kurzgeschichten aus dem Alltag veröffentlicht.

Nun legt er mit „Taxitanic“ die umfangreichste Sammlung von Taxigeschichten im Ventil Verlag vor. Mit Vorwort und Zugabe sind es ganze 110 Kurzgeschichten, alle zwischen einer und wenigen Seiten lang. Eine Inhaltsbeschreibung zu geben ist unmöglich. Stellt euch einfach vor, was alles in einem Taxi, aus der Sicht eines Taxifahrers, passieren kann. Es passiert, Yok hat es erlebt und aufgeschrieben. Und er hatte sie alle in seiner Taxe: Jung, alt, arm, reich, links, rechts, überfreundlich, scheißenunfreundlich, Promi und Noname, kaputt und topfit. Manches davon gleichzeitig. Wiederkehrende Figuren sind reiche Schnösel, Besoffene, Rassist*innen und in irgendeiner Form eingeschränkte Menschen. Ein Querschnitt der sog. Bundeshauptstadt in all ihren Facetten also.

Natürlich ist Yok keinesfalls passiver Beobachter, sondern mischt sich als Teilnehmer auch immer wieder ein und kommentiert. Da können sehr nette Dialoge entstehen, aber auch weniger nette, etwa bei diskriminierenden Äußerungen und dann ist es nicht Yoks Art zu schweigen. Taxifahren ist wohl ein Job, bei dem die Gefahr recht groß ist, zum zynischen Menschenfeind zu werden. Aber sein zugewandtes Wesen und seine Empathie haben Yok wohl all die Jahre von abgehalten ein solcher zu werden, auch wenn wahrlich nicht nur liebenswürdige Gestalten bei ihm Platz nehmen. Die gibt es auch, klar. Nette Omas, gutgelaunte Punks und diejenigen, von denen man positiv überrascht wird, weil man sie vorher vielleicht schon als schnöseligen Yuppie oder gar Nazi abgetan hat. Aber eben auch das Gegenteil fuhr mit.

In jeder Geschichte geht auch immer ein wenig um den Fahrer selber, der die jeweilige Situation für sich einordnet und auch eigene Vorurteile regelmäßig auf den Prüfstand stellt. Das geschieht mal mehr, mal weniger deutlich.  Seine Stärken hat „Taxitanic“ besonders dann, wenn Yok sich selbst reflektiert, etwa wenn er beispielsweise ein paar unbeschwerte aber anstrengende Partykids im Wagen hat, leicht von ihnen angenervt ist und ihm dabei aber auffällt, dass er in seinem Leben nie unbeschwert oder unpolitisch feiern gegangen ist, wie es die hedonistischen Twens im Taxi gerade vorhaben.

Bei einer Lesung im Schokoladen in Berlin (Foto: nics_stage)

Es deutete sich schon an: Dass Yok ein hochpolitischer Mensch und linker Aktivist und Künstler ist – das spiegelt sich natürlich auch in seinem aktuellen Taxibuch wieder. Der Alltagsrassismus, der oft unvermittelt kommt, nimmt viel Raum ein beim „deutschen Fahrer“ Yok. Dass er nicht als Migrant gesehen wird, scheint bei zahlreichen Gäst*innen ein Freibrief für rassistische Auslassungen zu sein, etwa über seine als ausländisch gesehenen Kolleg*innen. Während das Thema Politik in „Punkrocktarif“ 2012 noch deutlich mehr Platz bekommen hat, sind die Geschichten hier facettenreicher.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass „Taxitanic“ unpolitischer als der Vorgänger ist. Im Gegenteil. Es drückt sich nur punktuell indirekter aus. Politik findet bekanntermaßen nicht nur im Parlament, beim Hausplenum, der Kundgebung etc. statt. Der Alltag ist voller Politik und das spiegelt sich wider, etwa wenn Yok alte und mittellose Fahrgäste beschreibt und Einblicke in deren schlimme Lebensverhältnisse bekommt. Dann weiß man auch ohne ein Manifest oder eine Analyse, wie scheiße doch für so viele das Gesundheits- und Rentensystem ist.

Und natürlich ist „Taxitanic“ auch ein Berlin-Buch. Die Bezeichnung ist für mich als in Berlin lebender Mensch nicht immer positiv besetzt, denn oft versteckt sich dahinter eine reine zielgruppenorientierte Marketing-Kalkulation von Autor*innen und großen Verlagen, die gern gelesene, aber tausendmal verwurstete Klischees (Techno! Party! Hedonismus!) über den Sehnsuchtsort in seichter Form aufwärmen, mit dem ich nicht immer was anfangen kann. Yoks Blick auf Berlin ist hingegen von einem gnadenlosen Realismus ohne Filter geprägt, so wie ich die Stadt, in der ich seit 13 Jahren wohne, auch oft erlebe.

Es ist ein Gedankenfeuerwerk, das der Autor abfeuert. Als Leser*in hechtet man manchmal so durch die Seiten. Die Geschichten sind zwar wie gesagt oft sehr kurz, aber trotzdem oft inhaltlich voll, denn Yoks Beobachtungen fördern so einiges zutage, dass man vielleicht auch mal sacken lassen sollte. Hinzu kommen die ganz unterschiedlichen Stimmungen. Eine Anekdote kann einfach nur absurd und komisch ohne weitere Ebene sein, schon die nächste geht dann wieder viel tiefer, ist bedrückend und muss verarbeitet werden. „Taxitanic“ ist daher nicht unbedingt ein Buch zum Weglesen am Nachmittag im Park oder bei der langen Zugreise.

Yok mit Quetsche (Foto: nics_stage)

Zur Geschichte gehört auch, dass es keine Taxigeschichten von Yok mehr geben wird, wie wir gleich zu Beginn erfahren. Sein Betrieb ist pleite, die Billigkonkurrenz Uber zerstört nach und nach den traditionellen Taximarkt mit Dumpingpreisen und Yok hatte seine finale Fahrt im Sommer 2024. Dadurch zieht sich ein bisschen Wehmut durch „Taxitanic“, denn dieses Buch zeigt auch, was unwiederbringlich an Zwischenmenschlichem verloren geht, nur damit wir es alle noch billiger haben können. Besonders tragisch: Auch die prekären Uber-Fahrer*innen haben bereits jetzt ein Verfallsdatum und werden in wenigen Jahren durch Robo-Taxis ersetzt und ebenfalls arbeitslos. Und wo sollen dann all diese Geschichten passieren?

Philipp

Yok: Taxitanic
»Taxifahren ist wie Punk, nur mit Reifen und ohne Saufen.«
Ventil Verlag
320 Seiten
20,00 €

Im nächsten Plastic Bomb gibt es ein ausführliches Interview mit Yok über „Taxitanic“ und einiges mehr!

Yoks nächste Lesetermine:
13.9.25 Berlin: Pirata
14.9.25 Berlin: Syndikat
19.9.25 Potsdam: Sputnik
31.10.25 Itzehoe: Freiraum
3.11.25 Hamburg: Kölibri
Alle Infos von Yok auch auf seiner Pocketpunk-Homepage und seinem Instagram-Account yok_pocketpunk. Ach ja, und die schönen Bilder im Text sind von nics_stage!