The Baboon Show: Irgendjemand ist immer angepisst.

Interview: Karsten Kriesel
Ist Montagmorgen um Neun eine gute Zeit für ein Punkrockinterview? Wenn es nach Cecilia Boström von The Baboon Show geht auf jeden Fall, denn später würde Arbeit und Bandprobe dazwischen kommen, es ist kurz vor Tourstart. Eigentlich hatten wir uns entspannt zur Videokonferenz zwischen Leipzig und Stockholm verabredet, aber kränkelnde Kinder auf beiden Seiten machen einen Strich durch die Rechnung. Für Cecilia hieß das, Oma bestellen und auf einen Spaziergang mit Telefon aufbrechen. Zu besprechen gibt es Einiges: Mit „God Bless You All“ steht Album Nr. 10 im 20. Bandjahr an, das Teil klingt für meinen Geschmack fett ohrwurmig, aber auch etwas weniger punkig. Ich selber habe die Band erst seit vielleicht sechs oder sieben Jahren so richtig auf dem Radar und bin spätestens live immer wieder begeistert. Cecilia rutscht im Gespräch immer mal wieder in einen recht professionellen Interviewton mit Formulierungen, die ich von Bands öfter höre und lese. Wahrscheinlich normal in der Promophase mit zig Gesprächen. Aber wir hatten auch schön lockere und rotzige Momente. Ob mir der Wunsch von Ronja „mehr Fanzine, weniger Presse“ gelungen ist (sorry for the Hauptjob), das müsst Ihr entscheiden…

Karsten: Wenn ich mal einige eurer Albumtitel in Reihe stelle: Da wurde in den Punkrock Hafen eingesegelt, eine eigene Republik gegründet, euer Logo über die ganze Welt gelegt. Jetzt sieht es so aus, als ob ihr Eure eigene Religion gegründet habt, im Zeichen des Pavians. Scheu vor großen Metaphern scheint ihr nicht zu haben?
Cecilia: Das war kein fester Plan, sondern kam uns einfach so. Aber du hast schon recht: The Peoples Republik of the Baboon Show war ein Statement. Jetzt hatten wir zwar nicht das Mindset, so hoch zu stapeln und es ist natürlich eher ironisch gemeint. Aber wenn man es mal im Ganzen sieht, da ist so vieles: Anbetung von Geld, Fußball aber eben auch Musik oder spezielle Künstler:innen: Das ist für viele manchmal wie Religion. Da werden die Leute regelrecht besessen. Das ist der Gedanke drumherum. Aber dass wir so mächtig wie eine Religion sind, denken wir nicht. Noch nicht.

K: Immerhin war Euer letztes Album als erstes in den deutschen Top40. Das könnte ja wieder passieren oder noch höher gehen?!
B:Na, das hoffen wir doch. Aber seit den Veränderungen durch die Pandemie in Gesellschaft und den wirtschaftlichen Verhältnissen kann man nicht mehr sicher sein: Vielleicht kaufen die Leute gar keine Platten mehr. Aber natürlich hoffen wir, dass sie es trotzdem tun.
[Update: „God Bless You All“ hat es auf Platz 15 der Charts geschafft!]

K: Euer zehntes Album kommt jetzt im 20. Bandjahr. Habt ihr irgendwelche Jubiläumsaktionen geplant?
C: Wir haben bis jetzt nicht wirklich etwas geplant aber wir haben viel darüber nachgedacht. Unser Fokus liegt jetzt erstmal ganz klar auf dem Album. Das sollte ursprünglich ja schon 2020 rauskommen, das mussten wir verschieben, als die Pandemie anrollte. Wir hatten einen Plan A, einen B, einen C in Bezug auf die Platte, jetzt sind wir vielleicht bei G. Wir mussten immer wieder neu planen. Wir haben dann 2021 ein paar Songs veröffentlicht, weil wir was rausbringen wollten, aber eben kein ganzes Album. Wie bei allen Bands sollte dem auch eine Tour folgen, manchmal geht das gar nicht anders. Schon ein allein, weil ein Album einiges an Kohle kostet, die man auf Tour wieder rein kriegen kann. Jetzt heißt es erstmal, zurück zu so etwas wie Normalität oder „neuer Normalität“, keine Ahnung wie man das nennen soll. Da ist unser 20. ein bisschen in den Schatten getreten. Wir werden schon noch feiern, aber haben noch nichts fest geplant. Das Jahr hat ja auch gerade erst angefangen.

K: Dass man sowieso nicht mehr zuverlässig planen kann, haben wir echt lernen müssen in den letzten Jahren…
C: Ja, das ist es. Wir hatten ja recht langfristig geplant. Aber die ganze Menschheit musste lernen, flexibel zu sein. Wer weiß, was noch passiert, es gibt nicht mehr viel, worauf man sich wirklich verlassen kann.

K: Ich habe in den vergangenen Jahren viel mit Künstler:innen darüber gesprochen, wie sie so durch die Pandemie kommen. Wie hast du das empfunden? In Schweden sah ja alles ein bisschen anders aus, richtig?
C: Ja sicher. Wir hatten keinen Lockdown, keine Masken, die Schulen waren offen. Konzerte, Theater oder große Feste gab es trotzdem nicht. Einerseits denke ich, schwedische oder besser nordische Menschen sind ohnehin etwas reservierter, zurückhaltender als weiter im Süden von Europa. Wir halten ganz natürlich Abstand voneinander, wenn es nicht gerade unsere Familien und Freunde sind. Und dann sind wir einfach nicht so viele. Schweden hat 10 Millionen Einwohner, in Deutschland sind es über 80. Was in Schweden dazu kommt: Die Mehrheit der Leute folgt den offiziellen Vorgaben: Wenn die Regierung einem etwas sagt, macht man das. Das liegt auch daran, dass wir eine lange sozialdemokratische Geschichte haben, auch wenn das jetzt so nicht mehr ist. Aber es ist noch in den Köpfen: Wenn jeder mitmacht, ist am Ende das Beste für alle. Ich denke, deswegen hat es hier ganz gut funktioniert. Aber natürlich wurde Schweden von anderen auch dafür kritisiert.

K: Weil du das Politische anspricht: Schweden driftet ja gerade, wie so viele Länder, immer weiter nach rechts. Wäre es nicht Zeit für ein Update eures Songs „Pig of the Year 2006“?
C: Oh ja, ich weiß. Wir haben den Song geschrieben, weil in den Wahlen 2006 das erste Mal in der Geschichte Schwedens eine rechte Partei zweimal hintereinander gewonnen hatte. Das war so vorher noch nie passiert. Da hat der Rechtsruck in Schweden angefangen, der seitdem anhält. Seltsamerweise denken viele Leute immer noch, wir wären eine sozialdemokratische Gesellschaft, in der jed:er die gleichen Rechte hat. Einfach wegen unserer Geschichte. Aber eigentlich kann man ganz klar sehen, dass das nicht mehr der Fall ist. Das ist interessant zu beobachten. Aber nicht interessant im Sinne von „Yeah!“

K: Es ist ja weltweit gerade einiges nicht so „Yeah“: Rechtsruck, Corona, Krieg, Klimawandel, die Situation im Iran… Auf eurem Album gibt es natürlich Songs mit Meinung und Message aber auch auffällig viele Partysongs: Vielleicht ein fast zynischer Gedanke von „das ist alles, was uns noch bleibt“?
C: Wir sind Musiker:inne und keine Politiker:innen. Unser Job ist es nicht, Dinge zu ändern. Aber sind immer noch politische Menschen. Und ich denke, es ist wichtig Probleme anzusprechen und über deine Gedanken zu sprechen. Und sich mit anderen über gemeinsame Einstellungen zu versichern. Für uns ist es wichtig, offen zu sagen, wo wir politisch stehen, aber wir sind keine Politiker. Natürlich würden wir auch gern Dinge ändern. Aber unser Fokus als Band ist es Musik zu machen und mit dieser wollen Menschen ein gutes Gefühl geben. Denn es ist wichtig, dass du Spaß hast!
Wir sind natürlich auch immer wütend über Dinge, die in der Welt passieren. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Die Leute nur wütend zu machen und damit in die Welt zu schicken, funktioniert nicht. Es ist besser wenn sie Spaß haben, gemeinsam Spaß haben. Veränderung braucht den Willen dazu, nicht nur Apelle.

K: Musikalisch klingt „God Bless You All“ sehr selbstbewusst. Ich höre da keine Scheu vor großen Rocksongs. Sogar Poppiges schleicht sich ein, „Gold“ klingt ja fast nach Abba und das meine ich durchaus positiv.
C: Oh, danke dir!
K: Wie würdest du diese Entwicklung beschreiben?
C: Ich denke, wir haben uns konstant entwickelt. Das halte ich auch für wichtig. Natürlich hat man seine Wurzeln, aber es wäre doch völlig uninteressant, immer wie dasselbe alte Lied zu klingen. Unser Sound ist dynamischer geworden: Uptempo, Lowtempo, Midtempo. Partysongs, Message, traurige Songs, quasi Folksongs. Ziemlich divers. Wenn du es benennen musst ist es mittlerweile vielleicht mehr Rock’n Roll, aber es kommt immer noch von der selben Punkrock Energie.

K: Was ist denn Punk oder Punkrock für Dich?
C: Punk steckt für mich nicht im Sound, in den Klamotten oder in deinen Haaren. Es geht ums Mindset. Von meinem Standpunkt aus kannst du Punk sein, egal wer oder wo du bist, egal wie alt du bist, solange du das Mindset im Kopf hast. Viele sagen Punk ist eine Jugend- oder Subkultur und meinen doch nur Style. Das ist aber kein Punkrock sondern nur ein Look. Ja, vielleicht willst du den „Erwachsenen“ damit zeigen, dass du gern gefährlich aussehen möchtest, aber am Ende musst du es fühlen. Die Einstellung Punk geht dann auch, wenn du erwachsen wirst, selbstbewusster, wenn du mehr materielles Zeug anhäufst… solange du Dinge ändern willst, die Welt besser machen willst, Dinge ständig hinterfragst, nicht einverstanden sein mit den Sachen, die einem vorgeknallt werden.

K: Wahrscheinlich reagieren wir als Eltern heute anders, wenn unsere Kinder uns sagen, sie wollen Punk sein, als es unsere Eltern damals getan haben…
C: Ja, wahrscheinlich. Aber wir müssen auch dazulernen, die Jugend heute geht mit Dingen um, über die wir nie so richtig nachdenken mussten. Unsere Kids heute leben zu gleichen Teilen in der echten Welt und am Bildschirm. Internet und Social Media, da ist so viel Druck rundum die Kids: Überall, wo du auftauchst oder vorkommst, musst du so fucking perfekt aussehen. Ich denke nicht, dass das gut ist. Ich denke wir müssen unsere Kids bestärken, dass sie toll sind und auf keinen Fall sein müssen, wie jed:er andere.

K: Was denkst du, würde denn die Cecilia von vor 20 Jahren sagen, wenn sie heute ein Konzert von Euch sehen könnte?
C: Oh wow, das wäre ein interessanter Gedanke. Sie würde es bestimmt cool finden, oder … ich kann ja jetzt auch schlecht etwas Blödes über mich selbst sagen (lacht)… Aber ich wollte schon damals nie perfekt sein, aber immer besser werden
K: Sammy von den Broilers hat mir auf dieselbe Frage geantwortet, er wäre als junger Skinhead natürlich nach außen hin nicht offen gewesen dafür, viel zu groß und kommerziell und so, hätte es innerlich bestimmt aber auch cool gefunden.
C: Das glaube ich gern. Ich hatte noch nie Angst davor, wenn Dinge sich ändern oder größer werden, solange sie gut sind. Und wenn sie gut sind, ist es doch super, wenn sie eine Million Menschen erreichen. Und es muss für mich gut sein, also für den, der es macht.

K: Ich war Ende 2021 aus beruflichen Gründen mal für drei Tage in Stockholm, 50 Jahre Abba und so. Leider hatte ich da gar keine Zeit für Subkultur oder Konzerte. Verfolgst du die Szene in Stockholm oder Schweden?
C: Leider nur wenig. Nicht, weil ich nicht interessiert wäre, aber ich habe einfach zu wenig Zeit. Ich habe meine Familie, ich habe meine Band, ich habe meinen Job. Aber hin und wieder gehe ich zu Shows du versuche am Ball zu bleiben. Aber ich würde sagen, Niclas ist von uns Vieren der Beste, hier den Überblick zu haben.
Leider gibt es in Stockholm nicht mehr so viele gute Läden. Die meisten der Punkläden, in die ich früher gegangen bin, gibt es nicht mehr. Die wurden nicht mehr gefördert, Veranstalter sind gestorben oder weggezogen … Da hat sich viel verändert.

K: Ihr spielt ja in vielen verschiedenen Ländern. Gibt es für euch Unterschiede, ob ihr in Schweden oder woanders spielt? Mal abgesehen davon, dass ihr in Schweden noch eine Spur bekannter seid…
C: Definitiv, es gibt viele Unterschiede. Klar, die Häuser sehen von innen alle gleich aus.
In Deutschland sind die Veranstalter oft freundlicher als in Schweden. Und es gibt tollere Veranstaltungsorte. Vielleicht liegt es daran, dass man in Schweden kaum Orte haben kann, wo man nur Konzerte oder so veranstaltet, da muss Gastronomie rein und alles Mögliche, was es komplizierter macht. Ich liebe diese für Konzerte umgebauten Fabriken in Deutschland. Oder diese Villa an Darmstadt [die Oetingervilla]: Das ehemalige Haus einer alten Dame, dass jetzt ein Jugendzentrum ist: das ist phantastisch, das wäre in Schweden niemals erlaubt.

K: Könntest du anhand des Publikums erkennen, wo ihr gerade spielt?
C: (lacht) Ich denke ja, zumindest ein bisschen. Spanische Punkrocker sehen etwas anders aus, als deutsche oder schwedische…

K: Ihr habt in einem Interview mal gesagt, Eure erste Tour in Deutschland „war nicht so gut…“ Ich sitze hier in Leipzig, da gibt es auf Punkrock Harbour sogar ein Lied, „Live in Leipzig“ über die vier zahlenden Gäste. Im Booklet von God Bless You All ist jetzt ein Bild vom ausverkauften Leipziger Felsenkeller mit über 1500 Leuten…
C: Leipzig ist mittlerweile eine unserer besten Städte und wir haben jetzt viele schöne Erinnerungen an die Stadt! Der Song entstand, bevor wir das deutsche Label hatten, vor den ganzen Kontakten, die wir uns dann aufgebaut haben. Da sind wir halt einfach ins Auto gestiegen. Es war schon speziell aber Spaß gemacht hat es auch damals. Und hey, man erinnert sich auch immer daran.

K: Eine Sache, bei der ich sagen würde, dass sie deutsche Punkrockbands von anderen nochmal klarer unterscheidet, ist die Frage nach der Betonung der Herkunft und nach Nationalgefühl. Du kannst hier nicht mit einer schwarz rot goldenen Fahne wedeln oder sie dir aufs Shirt drucken, es sein denn, du meinst es ironisch. Band wie Perkele machen das wiederum in Schweden und gelten trotzdem als Punkrock. Auch in anderen Ländern gehen Bands ganz anders mit ihrer Herkunft um. Wie denkst du darüber?
C: Es ist natürlich offensichtlich, dass ihr in Deutschland das wegen eurer Geschichte so nicht machen könnt, klar verbietet sich das. Es ist auch klar, dass ihr euch Sorgen macht, was Leute denken, die Flaggen schwenken. Und natürlich muss man geschichtliche Umstände und das Erbe beachten und respektieren.
Aber das Flaggending: Wenn du eine Band aus Deutschland bist und mit der Flagge wedeln willst: Mach halt mal. Vielleicht magst du einfach nur die Farbe? Es ist nur ein Stück Stoff.
Ich brauche keine Fahnenwedelei, warum auch? Aber wenn es dir liegt .. bitte. Mach nicht gleich ein Drama draus und schau auf das Warum: Vielleicht wollen sie dich mit Absicht provozieren, vielleicht mögen sie es nur schön bunt, vielleicht wollen sie Freunde und Verwandte grüßen …
[Ich merke, während Cecilia spricht, dass sich ihre Antwort für mich unzureichend, irgendwie „unbefriedigend“ anfühlt. Hat sie die Frage anders verstanden als ich? Gehe ich zu sehr aus „deutscher“ Punkperspektive fest an solchen Dingen? Ich denke darüber nach, nachzuhaken, aber da ich weiß, was noch alles auf meinem Zettel steht, belasse ich es dabei, auch um die Stimmung auf dem entspannten Level zu halten…]

K: Ich habe Euch 2022 dreimal an drei verschiedenen Orten live gesehen. Vom Back To Future Festival gibt es ein Foto, auf dem du und ich uns beim Crowdsurfen „treffen“. Wenn ich deine Energie auf der Bühne erlebe und das mit mir vergleiche: Es gibt Tage, da stürze ich mich in den krassesten Moshpit und Tage, da will ich mich nur an meiner Tasse Tee festhalten und niemanden sehen. Das geht ja bei Eurem Tourplan so nicht…
C: Natürlich habe ich auch Tage, an denen ich am liebsten Niemanden sehen möchte, oder will, dass andere mich sehen, geschweige denn anfassen. Aber sobald ich weiß, eine Show steht an, habe ich eine kleine Routine, quasi ein Ritual. Ich trage Makeup auf, ziehe mich an, höre ein bisschen Musik, um in Stimmung zu kommen. Und selbst wenn ich dann noch nicht richtig da bin: Sobald ich die Bühne betrete, fühle ich die Liebe und die Energie der Leute vor der Bühne und ich drehe auf. Am Ende liegt es also an Euch! Und natürlich am Willen, eine gute Show abzuliefern.

K: Punkrock heute meint ja die ganze Bandbreite von kleinem DIY und Untergrund bis hin zu „Stars“ wie den Toten Hosen oder eben den Broilers, die den ganzen Weg einmal abgeschritten sind. Ihr habt mit allen möglichen Bands gespielt, gibt es Punkte, wo alle gleich sind?
C: Naja, wenig. Aber die meisten der großen Bands mit denen wir gespielt haben, haben definitiv noch Seele und Gespür für ihre Wurzeln. Klar, wenn man größer wird, verändert sich viel: Du hast keine Crew von 5 sondern von 50 Leuten, du bist in einer Art Bossrolle, du hast deine Supportbands. Die Produktionen sind riesig. Es wird mehr zu einem Geschäft bei dem du den Überblick behalten musst, du kannst da nicht „nur Musik machen“. Aber Bands wie die Toten Hosen oder speziell die Broilers, die haben schon noch ihr Herz für die Szene, wo sie herkommen. Und sie gehen mit ihrem Erfolg würdig um, sie nutzen ihn. Die Toten Hosen zum Beispiel schauen gern, wo sie wie helfen können. Wenn du dort auf der Gästeliste stehst, sollst du trotzdem Spenden für etwas Wohltätiges. Wenn du so eine große Community hast, so eine Power und es auch für gute Sachen nutzt, das finde ich richtig und wichtig. Auf keinen Fall sich nur zurücklehnen und sagen: Geil, wir haben es geschafft! Und natürlich muss du immer ein guter Musiker bleiben.

K: Ich habe in den letzten Jahren auch viele, ehemals große Bands erlebt, die dann wieder runter stufen mussten und nun wieder in kleineren Läden spielen…
C: Ja, das passiert auch. Sein Publikum zu halten ist richtig viel Arbeit. Sich immer interessant zu halten, ist nicht einfach. Manchen gelingt es vielleicht nicht, immer besser zu werden. Da spielt vieles eine Rolle. Allein durch die Pandemie und jetzt danach haben sind viele Leute nicht mehr so viel Geld oder sind wählerischer geworden. Die rennen nicht mehr auf jedes Konzert. Dinge ändern sich, Menschen ändern sich. Allein um deinen Stand zu halten, musst du dich verbessern und entwickeln. Und wenn du einen Stand hast, musst du neue, jüngere Bands supporten und einladen, damit sich die Szene auch entwickeln kann.

K: Apropos Szene und jüngere Menschen: Es gibt ja in der Szene immer auch Konflikte und Diskussionen zu verschiedenen Themen. Ich habe das Gefühl, dass in den letzten Jahren viele junge Menschen nachgewachsen sind. Ob das dann immer Diskussionen zwischen alt und jung sind weiß ich gar nicht, auf jeden Fall klingen sie wie „früher und heute“. Ein Graben verläuft zwischen „tu, was du willst“ und möglichst sensibler Awarenes, zwischen Provokation um jeden Preis dem Willen zur politischen Korrektheit. Shirt anlassen aus Rücksicht oder OKF aus Prinzip. Verfolgt ihr solche Diskussionen?
C: Ach, ich denke zuallererst denke ich, du solltest tun, was auch immer du tun möchtest, solange du es mit Selbstvertrauen tust und einen Grund dafür hast. Du kannst dein Leben nicht in der ständigen Angst leben, irgendwen zu verärgern. Irgendwer fühlt sich immer getriggert. Wenn du wirklich niemanden verärgern willst, musst du komplett runter vom Radar: Geh raus aus Social Media, sei nicht in einer Band, nicht im Konzert, sei nirgends, wo dich Menschen sehen oder beurteilen könnten. Menschen werden dich immer irgendwie beurteilen, das ist einfach Fakt. So ist die Menschheit: Leute werden angepisst, denken darüber nach, was und warum jemand anderes gemacht hat.
Wir hatten zum Beispiel Diskussionen mit unserem deutschen Label. Zuletzt bei unserem Video zu Oddball. Das Label meinte, wir könnten das nicht veröffentlichen, weil Leute denken könnten, wir wären homophob. Bitte was?! So etwas würde uns nie in den Sinn kommen, das ist total absurd. Die meinten, die Leute könnten es aber missverstehen. Doch wir haben uns letztlich entschieden, das so zu machen, wie wir es für gut halten. So einfach. Solche Sachen gab es immer mal, auch mit der Booking Agentur. Immer die Rückfrage, weil Leute dieses oder jenes missverstehen könnten.
Natürlich sollte man nicht ignorant sein oder andere Leute respektlos behandeln. Aber wenn man immer Angst hat, Leute vor den Kopf zu stoßen, kann man gar nichts mehr machen. Irgendjemand ist immer angepisst.
Vielleicht hört sich das respektlos an, aber für mich sind solche Diskussionen oft lächerlich. Und das meine ich überhaupt nicht respektlos. Ich denke nur, wenn wir immer über das Urteil anderer nachdenken, macht es uns fertig und wir sind handlungsunfähig. Und ist das Punkrock? Nein, nein, nein, ich denke nicht!

K: Einen Teil des Szenediskurses, den ich sehr wichtig finde, ist der Feminismus, der seit ein paar Jahren deutlicher zutage tritt. Da kann auch ich noch eine Menge lernen und mich reflektieren. Ein Artikel wie „Menstruation auf Festivals“ hier in der vorletzten Ausgabe, hat mir ziemlich die Augen geöffnet, weil ich über so etwas bisher einfach noch nie tiefer nachgedacht habe. Kannst du als Musikerin hinter der Bühne Veränderungen feststellen, wie euch Veranstaler:innen und Booker:innen begegnen?
C: Wenn ich mal darüber nachdenke, wie es war, als wir angefangen haben: Ja, da hat sich definitiv einiges geändert. Das kann natürlich auch mit der Größe der Band zusammenhängen. Wir haben immer noch Clubs oder Festivals, wo es keine separate Garderobe gibt, als hieße es „Yeah, macht euch nackig vor der ganzen Crew.“ Orte, wo es keine separaten Sanitäreinrichtungen gibt, wo du erstmal an den Urinalen mit den pissenden Kerlen vorbei musst. 50 Prozent unserer Band sind weiblich, da könnte man annehmen, dass Veranstalter auf die Idee kommen, das zu berücksichtigen. Oder die denken halt, „ach, die kommen aus der Punkrockszene, die interessiert das einen Scheiß.“ Naja, um ehrlich zu sein, Frida und ich machen das jetzt schon so lange, uns interessiert das wirklich einen Scheiß. Aber es ist natürlich schön, wenn Veranstalter an so etwas denken, ein bisschen Privatsphäre mögen wir schon. Manchmal gibt es sogar solche Sachen wie Tampons auf der Toilette, das ist dann toll, da merkt man, dass die Leute wirklich mitgedacht haben. Danke! Aber ich denke, es wird nicht nur besser, weil wir immer größer werden. Ich schätze, dass es vor allem in kleineren Clubs besser wird, weil dort die Veranstalter mehr aware sind oder selbst weiblich. Aber so viele nicht männliche Veranstalter gibt es dann doch noch nicht. Im Booking sieht es kaum anders aus.

K: Hier in Leipzig gibt es erstaunlich viele Clubs mit weiblicher Führung und im Booking. Aber ich könnte jetzt auch keine Statistik aufstellen…
C: Es ist für mich auch nicht so, dass weiblich automatisch besser heißt. Ich bin kein Freund von diesem Quoten Ding. Aber wenn du zwischen zwei gleich qualifizierten Leuten die Wahl hast, sollte man gerade die weibliche Person wählen. Wenn die männliche besser ist, dann aber nicht wegen Quote die weibliche.

K: Du hast „Girls To The Front“ auf dem Arm tätowiert und der Ruf nach diverserem Lineup auf Festivals ist ja immer wieder zu vernehmen. Allerdings scheinen sich einige Veranstalter dann zu denken: Gut, nehmen wir The Baboon Show und das Problem ist gegessen. Ihr seid in Eurer Stellung also manchmal Alibi und Vorbild zugleich…
C: Ich denke, es sollten definitiv mehr Bands mit weiblichen Personen auf Festivals spielen. Es wäre ja eine Sache, wenn es, wie so oft behauptet wird, keine gäbe. Aber es gibt so viele gute! Ich weiß, was du meinst: Sicher, Baboon Show, wir sind zwei Jungs und zwei Mädchen … naja, zwei Frauen und zwei Männer (lacht). Wir sind female fronted, aber wir sind keine „Girl Band“, wir sind einfach eine Punkrock Band. Und uns zu buchen heißt nicht, man hat seine Hausaufgaben gemacht hat und wäre fertig mit dem Frauending.
Und wovor habt ihr Angst? Dass keine Leute auf euer Festival kommen, weil ihr zu viele Frauen auf der Bühne habt? Wo ist das Problem? Ich würde mir aber wünschen, dass das gar keine Frage wäre! Warum sollte man eine Band nach Geschlechtern teilen und beurteilen?

K: Ich würde mir auch wünschen, dass es keinen Unterschied macht, nirgendwo. Tut es aber leider doch noch, umso wichtiger, das Thema zu betonen. Weil ich denke, dass uns bisher einfach auch global die weibliche Perspektive zu lange gefehlt hat.
C: Sicher, das ist ja das Problem. Wenn du als junger Mensch auf ein Festival gehst und höchstens fünf Prozent aller Leute, diedort arbeiten oder auf der Bühne stehen, sind weiblich, dann macht es sich in deinem Kopf breit, dass Frauen in der Rockmusik nicht das normale Ding sind. Sondern etwas spezielles, etwas skurriles. Und das wird dann zum Mindset wo wir ran müssen. Warum kann es nicht überall so sein, wie die Gesellschaft an sich ist? 50:50!