Moscow Death Brigade Interview

„Es ist eine wirklich schlimme Zeit für Künstler in Russland“

Stress mit Staat, Nazis und Cops sind Moscow Death Brigade durchaus gewohnt. Die politisch aktiven „Circle Pit Hip-Hopper“, wie sich das Punk/Rap/Techno Trio aus Moskau selbst nennt, können schon seit Jahren nicht mehr in Russland auftreten und bleiben auch auf Tour maskiert. Seit ein paar Wochen ist hat sich die Situation deutlich verschärft: Putins Krieg in der Ukraine trifft auch die Meinungs- und Kunstfreiheit in Russland. Zensur, Verbote und Überwachung nehmen zu, selbst Künstler:innen außerhalb von Subkulturen kriegen das zu spüren, Szenebands und Aktivist:innen sowieso. Das Land „einfach so“ zu verlassen wird schwieriger, offene und sichere Kommunikation, auch ins Ausland, muss geplant und überdacht sein. Auch das angefragte Interview lässt ein paar Tage auf sich warten, bevor es über Email zustande kommt. Im Schriftwechsel erzählt Bandmitglied „Ski-Mask G“, wie riskant und problematisch künstlerische Aktivitäten und öffentliches Engagement in Russland gerade sind und warum es trotzdem wichtig ist, Haltung zu zeigen. Ende März soll es für die Moscow Death Brigade auf große Europa-Tour gehen, inzwischen sieht es gut dafür aus.

Karsten Kriesel: In einem Facebook-Statement kurz nach Kriegsausbruch in der Ukraine schreibt ihr „Dieser Krieg begann schon vor acht Jahren“. Wie überrascht wart ihr von der russischen Invasion und der Eskalation der jetzigen Situation?
Ski-Mask G: Überrascht ist wohl nicht das zutreffende Wort. Eher komplett geschockt! Dieser Konflikt brodelt schon eine Weile, mit Feuer von zwei Seiten und Zivilisten, die dazwischen seit Jahren „gefangen“ sind. Ein typsicher Stellvertreterkrieg, ein Tauziehen mit Sanktionen und Rechtfertigungen. Das war tragisch, so wie es war, aber wir haben so eine Eskalation wirklich nicht erwartet. Es ist katastrophal!
Eine wichtige Sache, die viele Leute im Ausland vielleicht nicht verstehen, ist dass dieser Krieg für viele Russen eine persönliche Tragödie ist. Viele Russische Bürger haben Familie, Verwandte oder zumindest gute Freunde in der Ukraine. Wir kennen viele Menschen hier, deren nahe Verwandte in verschiedenen Teilen der Ukraine leben und die nun im Kriegsgebiet festsitzen und sich vor Beschuss verstecken. Die Verbindungen zwischen Menschen aus Russland, Belarus und der Ukraine waren immer sehr stark. Deswegen wissen sehr viele Menschen hier, was passiert. Nicht aus den Nachrichten oder Social Media, sondern direkt von ihren Freunden und Verwandten, von der Ukrainischen Seite.

KK: Was sagt ihr zur offiziellen russischen Version, nach der die Invasion in die Ukraine aufgrund von „Entnazifizierung“ stattfindet?
SMG: Das ist eine typische Masche von Autoritäten, um ihre Taten zu rechtfertigen. Ein Teil des ukrainischen Militärs ist in der Tat von Neo-Nazi-Einheiten unterwandert, die offiziell mit Nazi-Abzeichen auftreten und offen rechtsradikale Ansichten haben. Ich denke, das ist allgemein bekannt und darüber wird auch in den westlichen Medien umfassend beichtet. Viele russische Neo-Nazis, auch solche, die hierzulande Minderheiten und Antifaschisten ermordet haben, sind in die Ukraine gegangen, um sich solchen Einheiten anzuschließen. Aber es ist sonnenklar, dass der tatsächliche Grund für die Invasion ein anderer ist und nichts rechtfertigt es, unschuldige Menschen anzugreifen.

(©j.iversenc_photography)

KK: Die offizielle Berichterstattung und viele Informationsmedien werden gerade immer weiter zensiert, unter scharfer Beobachtung standen Medien in Russland ohnehin schon vorher. Wie könnt ihr Euch aktuell darüber informieren, was in der Ukraine passiert?
SMG: Da wir dieses Interview gerade per Email führen, funktioniert das Internet gerade mehr oder weniger für solche Zwecke. Die Leute können einige internationale Zeitungen online lesen oder Social Media Webseiten aufrufen – nicht von jedem W-Lan, nicht von jedem Smartphone aber sie funktionieren noch in Russland, trotz der Bestrebungen, einige davon abzuschalten. Und dann gibt es noch VPN, was es den Leuten ermöglicht, die Restriktionen zu umgehen. Aber die Mehrheit der Menschen holt sich ihre Informationen aus dem Fernsehen und die TV-Sender präsentieren alles nur Pro-Regierung.
Aber wie gesagt, viele Menschen bekommen ihre Informationen von ihren Freunden und Verwandten in der Ukraine und überraschenderweise scheinen sich diese oft von der „Russischen“ und der „westlichen“ Version zu unterscheiden.

KK: Wie offen kann man momentan in Moskau öffentlich kommunizieren und Informationen austauschen?
SMG: Du kannst definitiv nicht alles posten, was du willst. Es gibt ständig neue Gesetze und Regularien, die begrenzen was und wie viel du öffentlich sagen kannst. Und du kannst große Schwierigkeiten bekommen, Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren und eine Menge anderer Probleme. Noch ist unklar, wie scharf das durchgesetzt wird. Trotzdem protestieren so viele Menschen hier in Russland weiter gegen diesen Krieg, auf den Straßen oder auf andere Art. Aber viele werden verhaftet, aus ihren Jobs gefeuert, aus den Universitäten ausgeschlossen oder bekommen Geldstrafen.

(©MDB)

KK: Wie geht es Künstler:innen in Russland in diesen Tagen?
SMG: Es ist eine wirklich schlimme Zeit für Künstler in Russland. Du kannst dich nicht gegen den Krieg engagieren ohne eine ganze Ladung Probleme zu bekommen. Selbst einige große Namen und prominente Künstler:innen wurden mit Sperren und Verboten belegt, weil sie den Krieg verurteilt haben. Diesen Krieg zu verurteilen oder ihn überhaupt „Krieg“ zu nennen ist illegal.

KK: Ihr spielt schon seit ein paar Jahren nicht mehr in Russland, wie kam es dazu? Was ist kulturell und subkulturell gerade möglich in Russland bzw. Moskau?
SMG: Seit unseren Anfangstagen als Band vertreten wir antifaschistische, antimilitärische und antiautoritäre Positionen, obwohl wir uns selbst nicht als Politband bezeichnen. Wir glauben einfach, dass es eine grundmenschliche Selbstverständlichkeit ist, sich gegen Diskriminierung und Krieg zu stellen. Einige unsrer ersten Songs auf Russisch beinhalteten direkte Kritik an Militärpropaganda und erreichten überraschenderweise schnell große Popularität auch außerhalb der lokalen Untergrundszene. Wir waren auch an aktivistischen Aktionen auf der Straße beteiligt, haben auf Demos gespielt. Viele unsrer Shows endeten in heftigen Schwierigkeiten mit Neo-Nazis oder Cops. Einige Jahre später fanden wir uns auf einer Schwarzen Liste der Regierung. Unsere Band wurde in Berichten, Artikeln und sogar in Büchern als linksextremistisch gelistet, was es uns quasi unmöglich machte, in Russland aufzutreten. Abgesehen von uns und einigen vergleichbare Bands, war es bisher für die meisten Musiker:innen hier grundsätzlich möglich, aufzutreten. Selbst während der Pandemie waren die Regeln sehr schwach und Konzerte fanden statt, außer in den ganz harten Lockdowns. Jetzt wird es allerdings schwerer für Künstler und öffentliche Personen, ihre Ansichten zum Konflikt auszudrücken ohne verboten oder bestraft zu werden.

KK: Ihr bezeichnet Euch selbst auch als Kollektiv, das mit anderen Künstlern und Aktivisten kollaboriert. Habt ihr Kontakt zu anderen Akteuren in Russland, wie ist deren Situation gerade?
SMG: Ja, wir stehen in Kontakt mit anderen Künstlern, Aktivisten und Non-Profit-Organisationen. Die Situation ist ziemlich düster für viele von ihnen. Zusätzlich zum immer schärferen Vorgehen der Regierung sind sie auch betroffen von den Sanktionen, die der „Westen“ verhangen hat, weil sie internationalen Zahlungsverkehr abgeschaltet haben, worunter etwa auch die Monetarisierung auf YouTube, Patreon usw. fällt. Es gibt viele unabhängige NGO’s in Russland, die gerade in großen Schwierigkeiten stecken – Organisationen, die vulnerable Gruppen supporten, etwa Opfer häuslicher Gewalt, LGBTQ Aktivisten usw. Bei vielen oppositionellen Medien sieht es genau so aus. Bisher konnten sie mit internationale Spenden überleben oder sich zum Beispiel über YouTube finanzieren. Diese Möglichkeit gibt es gerade nicht mehr, parallel dazu fährt die Regierung ihre Attacken auf solche Initiativen hoch. Einige scherzen sogar schon, dass die westlichen Sanktionen der russischen Führung helfen, das zu erreichen, was sie seit Jahren wollen – oppositionelle Medien und Menschenrechtsinitiativen schwer schädigen, sie von der weltweiten Community abschneiden und sie mit ihren Verfolgern allein lassen.

KK: Es heißt, einige von Euch haben Russland momentan verlassen, andere sind noch in Moskau. Wie schwer ist es in diesen Tagen, Russland zu verlassen oder dorthin zurück zu gehen?
SMG: Der Kern der Band ist noch hier in Moskau. Unsere Road Crew besteht aus Leuten verschiedener Länder, die sind schon in Europa und bereiten die anstehende Tour vor. Insgesamt ist es schon etwas problematisch, aus dem Land zu kommen. Seit europäische Länder Flüge aus Russland gestrichen haben gibt es nur noch ein paar Länder in Asien und Afrika, die noch offen sind und Tickets anbieten, die nicht mehrere tausend Euro kosten.
[Anmerkung: Das Interview wurde Mitte März, geführt, inzwischen hat die ganze Band Russland verlassen können.]

KK: Was kann man in der aktuellen Situation tun? Habt ihr irgendwelche Aktionen geplant?
SMG: Helft unschuldigen Menschen, die unter dem Krieg leiden! Was jeder tun kann, ist Flüchtlingen zu helfen – Millionen Zivilisten flüchten aus der Ukraine und brauchen Hilfe. Meist sind es Frauen und Kinder, weil die Männer da bleiben müssen. Sie brauchen Unterstützung, Essen, Unterkunft, grundsätzliche Dinge des täglichen Bedarfs. Es gibt einige vertrauenswürdige Hilfsfonds, denen man Geld spenden kann. Wir selbst haben gerade ein Benefizprojekt gestartet, um Geld für Menschen zu sammeln, die aus der Ukraine flüchten, das Geld wird in Busse, Essen und nötige Vorräte investiert. Wir haben schon immer versucht, Flüchtenden aus verschiedensten Ländern zu helfen und Geld für Organisationen wie SeaWatch.org, Women in Exile und andere zu sammeln. Und das werden wir auch weiter tun, solang wir können.

KK: Eure nächste große Europa-Tour soll Ende März starten. Geht ihr gerade davon aus, dass diese wie geplant stattfinden kann?
SMG: Ja, wir erwarten, dass die Tour wie geplant läuft. Wir haben schon immer eine klare Anti-Kriegs- und Anti-Gewalt-Haltung, daran hat sich nichts geändert. Ja, wir müssen generell in Russland in diesen Tagen vorsichtiger sein. Aber obwohl wir hier nicht auftreten können, ist unsere Musik immer noch online weit verbreitet. Und zum Glück, so hoffe ich jedenfalls, ist unsere Anti-Kriegs-Message in Europa immer noch sehr willkommen.

(©MDB)

KK: Viele internationale Bands sagen im Moment ihre Konzerte in Russland ab, begründen aber klar, es ist nicht wegen der Menschen in Russland, sondern wegen Putins Krieg…
SMG: Für Künstler aus anderen Ländern wäre es momentan wohl ein PR-Disaster, in Russland aufzutreten. Ich habe kürzlich mit einem Promoter gesprochen, der Klassik- und Jazzkonzerte veranstaltet und der sagte mir, dass es zusätzlich zur PR ein anderes Problem gibt: Durch den Wertverlust des Rubel und andere wirtschaftliche Umstände wären Gagen aktuell nur etwa halb so hoch wie vor dem Krieg. Nicht jeder ist bereit, nur zum Spaß aufzutreten.

KK: Wenn ihr in den nächsten Tagen Russland verlasst, werdet ihr zurückkommen?
SMG: Stand jetzt, planen wir zurückzukommen. Aber da wir seit über zehn Jahren Aktivisten sind, haben wir gelernt, uns auf das Schlimmste vorzubereiten und einen Plan B und C in der Tasche zu haben. In diesem Kontext sollten wir auch alle dankbar sein, dass wir nicht gezwungen sind, aus unserem zu Hause zu fliehen während es bombardiert wird, so wie es die Menschen in der Ukraine aber auch noch im Mittleren Osten momentan erleiden müssen. Für jetzt ist unser Hauptziel, unsere Hilfsaktionen für Flüchtende fortzusetzen und die Tour zu spielen. Dann werden wir weiter sehen.

weitere Informationen, Tourdaten & Tickets:
https://www.destiny-tourbooking.com/bands-menu-m/445-moscow-death-brigade.html

Interview von Kasten Kriesel