Lulu Fuckface über Sexismus gegen Musikerinnen

Dieser Beitrag von Luise Fuckface erschien bereits im Plastic Bomb #113 (November 2020)

Hallo liebe Freund*innen, 

mein Name ist Lulu. Ich bin Sängerin in verschiedenen Bands, wie the toten Crackhuren im Kofferraum und bei Lulu und die Einhornfarm. 

Ich möchte euch von meinen Erlebnissen als weibliche Musikerin, mit über 10 Jahren Bühnenerfahrung, erzählen. Nicht von allen aber von einigen speziellen Vorkommnissen, die so leider immer wieder passieren. 

Ausgangspunkt für diesen Text, war ein Konzert Anfang diesen Jahres. Es war ein typisches Booking. Ich habe dort mit der Einhornfarm gespielt, die etwas, naja nennen wir es mal punkiger, als meine Hauptbahn die Crackhuren sind. Und Überraschung: ich war mal wieder die einzige Frau im gesamten Line-Up.

Wir saßen im Backstage und es wurde die Reihenfolge besprochen, in der die Bands auftreten sollten. Wir sollten als Zweites auf die Bühne. Jemand aus der Band, die als erstes auf die Bühne sollte, war darüber nicht glücklich und sagte zu mir: „Na Lulu, haste dich mal wieder hochgeblasen, was?“ Das ist nicht das erstes Mal, dass ich sowas höre, aber in diesem Moment hat mich das so hart abgefuckt und wütend gemacht, dass ich auf der Stelle absagen wollte. Hab ich zum Glück nicht gemacht, und die Person darauf angesprochen. Dieser war das auch sehr unangenehm und sie hat sich ehrlich bei mir entschuldigt, was ich einen feinen Zug finde. 

Ej, versteht mich nicht falsch. Ich stehe auf dumme Witze und habe mit Pimmelhumor auch nicht zwangsläufig ein Problem. Aber wie lustig findet ihr „Witze“, die ihr schon zum 100sten mal gehört habt? Wie herzlich könnt ihr darüber noch lachen? 

Diese „Hochschlafen, Hochblasen- Phrasen sind leider eine Standartbemerkung und sie macht mich immer wütender. Denn es redet klein, was ich mit soviel Herzblut mache. Ich mache seit über 10 Jahren Musik. Die kann man finden wie man will. Ich bewege mich in einer Nische. Hier wird man nicht reich aber man macht, das was man macht, aus Liebe. Und sich dann ständig anhören zu müssen, das kann alles nur so stattfinden, weil man die Beine breit macht, nervt sehr. 

Seit ich Musik mache, bin ich mit Sexismus von Männern in der Branche konfrontiert. Darüber habe ich mir früher nie Gedanken gemacht. In meiner Wahrnehmung war das lange Zeit irgendwie normal. Mein Problem war eher, als uncool und zickig wahrgenommen zu werden. Denn das warst du natürlich, sobald du irgendein Verhalten nicht toll fandest. Stattdessen hab ich es oft weggelacht oder selbst einen dummen Spruch gebracht, um mich möglichst entspannt und umgänglich zu zeigen. Im Nachhinein ärgert es mich sehr.

Oft sind das eher „Kleinigkeiten“, wie zum Beispiel, wenn man vom Veranstalter oder Stagemanager „seine Mäuschen“ genannt wird. Manchmal sind es aber auch andere Frechheiten, die man sich vor, auf oder hinter der Bühne gefallen lassen muss. 

Meine Band the toten Crackhuren besteht aktuell aus 4, aber zeitweilig auch aus bis zu 9 Mädels. Entweder waren wir „zu nervig“ um irgendwo zu spielen, weil äh entschuldigung, 9 Frauen müssen ja nervig sein, oder „äh ja klar, geil. Endlich mal was für die Augen“. Für viele waren wir ein paar Mädchen, die keine Ahnung haben und nur hopsen wollen. Darum, dass wir einfach eine gute Liveband sind und Spaß machen, ging es nicht. 

Am Anfang unserer, haha ich nenn’s mal Karriere, wurde nach der Show regelmäßig um die Gage gefalscht. Wir wurden sogar von unserem Management vor den Touren gebrieft, dass das passieren kann und so war es dann auch.  Wir würden das Geld doch eh nur für Schminke  und Klamotten ausgeben. Um dem zu entgehen, haben wir einen männlichen Tourmanager engagiert. Das waren immer tolle und zuvorkommende Leute aber trotzdem haben wir uns einfach nur angepasst.

Oft höre ich, man wisse ja nicht, ob das mit unserer Themenauswahl im Punk funktoniert.  Ponys, Schminke, Süße Boyz….das sind so typische Mädchenthemen. Das ist kein Punk. Aber wer hat das festgelegt? Ich liebe Punk, ich liebe Schminke und Ponys. Gibts da ein Regelwerk? Unabhängig ob das jetzt sogenannte „Mädchenthemen“ sind. Warum sollte das nicht Punk sein? 

Wenn ich dann mit der Einhornfarm im Lied „Bierschissbitches“ übers Kacken singe, heißt es oft, „boa als Frau übers kacken…“ von eklig bis mutig, ist alles dabei. „Das lied vom Kot“ der kassierer, oder „ich muss kacken“ sind natürlich voll witzig und natürlich weil Männer nunmal super viel kacken und Frauen halt nicht.

Ein anderes Thema ist die FIckbarkeit, aka Attraktivität  einer Person. Als Frau in der Musikbranche, wäre es schon wünschenswert auch fickbar zu sein. Und wenn nicht, dann solle man diese Kritik bitte aushalten, weil das ist nunmal der Job als „Musikerin“. Die Optik der Männer ist sehr viel seltener Thema. Mein erster Plattenvertrag wurde nach Ausstieg eines anderen, und angeblich viel attraktiveren Bandmitglieds, nicht verlängert mit den Anmerkungen, ich wäre zu dick und zu langweilig. Die Musik war da eher zweitrangig. Das würde sich heute vielleicht kein Mann mehr trauen, zumindest nicht direkt ins Gesicht der Künstlerin, weil er genau um den Shitstorm und die Dynamiken im Netz wüsste. Er könnte wohl einpacken. Deswegen werden vermeidlich „rationale“ Argumente vorgeschoben für gekündigte Verträge, niedrige Gagen oder schlechte Zeit-Slots bei Festivals.

Wenn ich mit anderen Musikerinnen spreche, werden meine Eindrücke leider viel zu oft bestätigt. Frauen* und ihre Körper werden bei Veranstaltungen, auch oft hinter der Bühne, nicht mitbedacht.

Hygieneprodukte, bzw. Mülleimer für diese, und vor allem fließend Wasser und Seife, um seine Hände nach er Einführung  dieser Hygieneprodukte zu waschen, gibt es oft einfach nicht. So muss man mit Leben, dass einem Chilli sin Carne, Lippenstift und Menstruationsblut einfach den ganzen Abend an den Pfoten klebt. Theoretisch…wir kennen das Problem ja leider und haben deshalb immer einen Toilettenbeutel mit Wasser, Seife und Desinfektionszeugs dabei. Das könnten sich Männer auch gerne abgucken. Eine professionell durchgeführte Studie (von mir) auf dem Backstageklo beim Gott sei Punk in Hamburg 2018 ergab, das sich 80% der strullernden Männer, nicht die Hände danach waschen aber dir gerne die Hand geben.

Meine Vorbilder in der Musik sind fast alle weiblich aber eher aus dem Elektro- oder Popbereich, seltener aus dem Punk. Hans-A-Plast, Electrocute, Peaches, Princess Superstar, Cobra Killer aber auch Miley Cyrus ( <3) Ich wollte nie einfach nur die Frau im Backstage sein, ich wollte eine von diesen tollen Frauen sein. Ich wollte auf der Bühne stehen, cool sein, saufen und Boyz klar machen. Ein Rockstar sein. Ganz am Anfang unserer „Karriere“ haben wir uns die Bühnen fast nur mit Frauen* geteilt, meistens Rapperinnen. Und je punklastiger unsere Bookings wurden, umso weniger Girls trafen wir auf und hinter der Bühne. 

Ich beobachte auch einen Generationenknick. Ich bin Mitte 30 und kenne viele jüngere und viele Ältere Frauen die Musikmachen, aber wenige Frauen in meiner Altersklasse. Und bei den Jüngeren bleiben viele nicht lang dabei. Woran das genau liegt, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist es einfach nicht unbedingt einladend Musik, und dann eben auch noch diese Art von Musik, zu machen.

Die völlig selbstverständlichen verbalen Ausfälle sind da eine Sache – die physischen Übergriffe eine andere. Immer wieder finden Männer es ok, uns anzutatschen, weil…naja wir nennen uns ja selber Crackhuren. Ej und wenn wir schon Crackhuren heißen, dann kann man uns ja auch gleich Schlampe nennen. Ich hab mir so oft an den Kopf gefasst und diesen Bandnamen verflucht…aber ej! Es ist ein verdammter Name und keine Einladung. Für viele Männer leider unverständlich und so haben wir uns schnell angewöhnt zurück zu prollen. Manchmal gab es eben auch ne Schelle. Inzwischen diskutieren wir die Sache aus. Oft stoßen wir damit auch Unverständnis und werden nur vollgelallt. Neben sehr dummen Männern, bekommen wir diese, naja ich nenne es mal Anmachen, auch von sehr unsicheren Männern zu hören. Darauf angesprochen, schämen sie sich sehr. So als wüssten sie es nicht besser. Da habe ich einfach ganz große Fragezeichen in der Birne. Von wem haben sie das und an was für Vollidioten orientieren die sich da. Boyz, wollt ihr ne Frauen kennenlernen, dann seid einfach nett, grabscht nicht rum und nervt nicht. Nein heißt nein. Ne Schelle heißt auch nein. Eigentlich heißt alles nein, bis auf JA. 

Um auf den Anfang noch einmal zu sprechen zu kommen: Kürzlich hat mich ein Veranstalter (in Zusammenhang einer Sexismusdebatte im Punk) darauf hingewiesen, dass ich selbst mal gefragt habe, mit wem ich denn hier schlafen müsste, um zu spielen. Klar, dass muss ich mir vielleicht auch vorwerfen lassen. Das ist ne richtig dumme Anmache und ich dachte damals noch, ich würde damit locker und wahnsinnig lustig rüberkommen. 

Wie wahrscheinlich die meisten Menschen bin ich dabei auch nicht zu 100 Prozent konsequent in meinem Handeln. Bei Älteren erwische ich mich dabei, etwas nachsichtiger mit ihnen zu sein. Wenn jemand mein Vater oder mein Opa sein könnte, rede ich mir oft ein, dass er es vielleicht gar nicht besser weiß und dann tut es mir manchmal leid, dass ich ihn jetzt kritisiert habe. Er hat es bestimmt nicht so gemeint, denke ich mir dann. Immer häufiger fuckt es mich dann aber doch ab, denn dieses „nicht so gemeint“ fungiert viel zu oft als Ausrede, um diskriminierenden Müll zu labern. Und nur weil einige ältere Herren meinen, sich nicht mehr ändern zu müssen und sich nicht reflektieren wollen, weil vor 20 Jahren Bemerkungen durchgingen, die heute definitiv und glücklicherweise nicht mehr durchgehen, kann man Sexismus eigentlich auch nicht entschuldigen. Theoretisch weiß ich das, die Praxis ist aber eine andere.

Früher konnte ich unbeschwerter über Sexismus lachen, was es nicht besser gemacht hat. Ich wollte wahrscheinlich auch einfach mithalten mit meinen männlichen Kollegen und – auch hier — nicht die Zicke sein. Ich habe das Privileg, viele Künstler persönlich kennen zu lernen und wenn ich weiß, dass die jenseits ihres sexistischen Bühnencharakters respektvolle Typen sind, entschuldige ich mehr, selbst wenn ich mich damit nicht zu 100 Prozent identifizieren kann. Meine männlichen Freunde machen zwar auch schlechte Pimmelwitze, aber setzten sich immerhin (manchmal auch gezwungener Maßen) mit der Thematik auseinander.

Ich sehe die Fortschritte, die auch durch Debatten wie #metoo stattfinden, aber es ist auch frustrierend, wie langsam sich die Dinge ändern. Hans-A-Plast haben vor 40 Jahren ihren Hit „Für ´ne Frau“ gesungen, und es ist in der Musikszene immer noch genau so: Frauen* sind immer noch etwas Besonderes, müssen doppelt viel arbeiten, um sich zu beweisen und bekommen vergiftete Komplimente für Selbstverständlichkeiten, als wären sie doof. Aber zumindest hinter den Kulissen nimmt der Frauen*anteil etwas zu, auch jenseits vom Catering oder anderen weiblich konnotierten Aufgaben. Weibliche Securities und Technikerinnen sind nicht mehr so selten wie vor 10 Jahren. Dennoch sagt meine Bauchstatistik, dass ihr Anteil bei höchstens 20 Prozent liegt.

Seit einiger Zeit gibt es die Diskussion um Frauenquoten auf Festivals. Ich bin bei dem Thema zwiegespalten. Auf der einen Seite wäre es schon geil, wenn mehr Frauen spielen würden. Und offenbar funktioniert es auch nur mit Quote. Musik von Frauen gibt es genug und mehr Frauen auf der Bühne hätten eine Vorbildfunktion für junge Musikerinnen. Die Themen würden sich vielleicht verändern, weg von diesem ganzen „Pillemann, Fotze, Arsch“gesabbel, hin zu Themen, mit denen sich Frauen* stärker identifizieren können. Auf der anderen Seite hat es eben auch ein Geschmäckle nur wegen der Quote gebucht zu werden. Denn bereits jetzt wird mir schon häufig vorgeworfen, dass ich irgendwo nur spiele, weil ich eine Frau bin und nicht, weil irgendwem meine Musik gefallen könnte. 

Bei manchen Veranstaltern ist es auch finanziell ein Risiko, eine „Frauenband“ zu buchen. Die meisten etablierten Bands sind nunmal mit Männern besetzt und etablierte Bands bedeuten einfach weniger Risiko. Daher wird sich vermutlich wenig ändern. Statt also einmal eine junge weibliche Band zu buchen, nimmt man lieber die sichere Bank aus Männern, auch wenn sie vielleicht schon zum 10. Mal auf dem Festival spielt. Aber so lange diese Strukturen nicht durchbrochen werden, werden Musikerinnen im Punkbereich immer zweite Klasse bleiben. 

Veranstalter (aber auch Veranstalterinnen): Ihr habt es in der Hand!

Autorin: Luise Fuckface, Support: Philipp Meinert