Deutsche Laichen – Interview von Kadda

Deutsche Laichen im Interview

Können DEUTSCHE LAICHEN noch angepisster klingen? Und ob! Auf der kompakten neuen EP „Team Scheiße“ haut die Band mit „Szeneputzen“, „Resilience“ und „Deutschland ein Albtraum“ drei neue Pöbelpunk-Perlen raus. Explizit stellt die EP nicht nur den letzten Oberfascho als Team-Mitglied vor. Gefragt sind alle, bei Rassismus und Sexismus weiterzudenken als bis „Nazis klatschen wunderbar“ (Zitat aus „Szeneputzen“) und „oh, na für dieses Festival buche ich doch mal wieder alle meine Männer-Kumpels, die so toll über Ungerechtigkeit singen“.

Die eigene Szene, die auf viele(s) eben noch nicht reagiert oder sich nur stellenweise selbst merkt, ist bei den Laichen auch wieder Thema. Nach Songs wie „Von Mackern und Pumas“ und „Bullen“ auf dem ersten Album dreht sich aber nun die Perspektive auch weg von denen, die eh darauf kalkulieren, in Szene oder Alltag den besten Sessel für sich gepachtet zu haben, wie auch die damit verbundene Aufmerksamkeit.

Lieber werden die Strahler in Band-Statements zur EP auf Gruppen wie „Women in Exile“ gelenkt, einen Verein geflüchteter Frauen und friends in Brandenburg seit 2002. Das ist solidarischer, antirassistisch-feministischer Punk, den 2020 äußerst gut vertragen kann. Darum ein paar aktuelle Fragen zu „Team Scheiße“.

Kadda

Anfang September war das Releasekonzert eurer EP. Hat alles gut geklappt mit den 40 Leuten, die dabei sein durften und der Umsetzung (Hygienekonzept usw.)? Könnt ihr ein Resümee zur Stimmung ziehen und wie zufrieden ihr seid?

Wir hatten eine schöne Release-Show auf einem Wagenplatz mit Abstand und Masken. Es war ein FLINT only Konzert (also nur für Frauen, Lesben, Inter, nicht-binäre und trans Personen). Leute die zu unseren Konzerten kommen haben das mit dem rücksichtsvoll Ausrasten und Spaßhaben ja gut drauf, und daher war das mit dem Pogen im eigenen Tanzbereich (1 Campingstuhl) sehr lustig.
Trotzdem adressieren wir mit unseren neuen Songs natürlich auch genau diese feministische Wohlfühlblase, in der sich vermeintlich alle wohlfühlen können, und wollen hier Leerstellen aufzeigen. Mit unserer ersten LP haben wir noch die Konsensfeinde Macker und Bullen angepöbelt – da gehen natürlich alle mit. Auf “Team Scheiße” konfrontieren wir auch die Menschen aus unserer eigenen Szene: Was machst du gegen Rassismus bei dir im Kopf, in deiner Bubble, vor deiner Tür? Da gab es dann einiges an Stillschweigen im Campingstuhl. Wir waren aber noch nie die Band, die Bauchschmerzen – bei uns oder anderen – umgeht.

Eure EP steht stark unter den Eindrücken der Proteste von Black Lives Matter und Migrantifa. Ihr schließt euch der Kritik an und bezieht sie auf die Musik- und Politszene, auf Punk wie Feminismus als Räume, die in deutschsprachigen Ländern fast ausschließlich von Weißen Leuten frequentiert werden. Wann kamen die ersten Ideen zu den drei Songs auf? Und hat „Deutschland ein Albtraum“ einen Bezug zu dem Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“?

Dass die Szeneräume so krass weiß-dominiert sind, ist nichts Neues. Wir spielen oft Konzerte mit weißen Bands, anwesend ist ein überwiegend weißes Publikum. Weiße Leute sitzen auf Polit-Plena und behaupten, dass sie gegen Diskriminierungen kämpfen würden. Die Stimmen nicht-weißer Personen werden unsichtbar gemacht, weil die weiße linke Szene es nicht schafft aus ihrer eigenen Betroffenheitsblase herauszukommen oder es nicht will. Wäre vielleicht auch eine von vielen Erklärungen dafür, weshalb der Support für Bewegungen wie zum Beispiel Black Lives Matter oder #saytheirnames wieder so krass abgenommen hat. Dass es solche Songs braucht, ist dementsprechend auch nichts Neues. Unsere Songs mussten raus, das hat nichts damit zu tun, dass seit der letzten Veröffentlichung gut ein Jahr vergangen ist. Mit dem Schock und der Wut nach den rassistischen Morden in Hanau haben wir im Februar unser letztes Konzert vor der Covid19-Pause in der Roten Flora in Hamburg gespielt, seitdem haben wir unsere Energie in die neuen Songs gesteckt. Das Buch von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah ist eine der wichtigen gesellschaftlichen Analysen aktuell, also: unbedingt lesen!

Ihr habt auf Nachfragen hin vor Kurzem ein sehenswertes Video zurSchwarzen Geschichte des Punk verbreitet. Wann habt ihr gemerkt, dass euch selbst Wissen fehlt, Künstler_innen ausgeblendet werden, auch im eigenen Konsum? Wann wurde euch das wichtig und wie war dann der Denk- und Gesprächsprozess als Band darüber?

Dass in der DIY-Punkszene wie auch in der breiter gedachten deutschen Kulturszene BIPoC-Artists (Black, Indigenous, People of Color) so unterrepräsentiert sind, braucht ja eigentlich keine zwei Blicke auf Bühnen in Veranstaltungsräumen, und die bespielen wir seit einigen Jahren. Bisher haben wir uns inhaltlich auf die Schieflage, was die Repräsentanz von FLINT-Künstler*innen betrifft, konzentriert. Allgegenwärtig und für BiPOCs lebensgefährlich sind rassistische Strukturen die ganze Zeit. Wir haben uns im Proberaum ausgetauscht, was uns wichtig ist, wo wir uns scheiße verhalten oder im Stich gelassen gefühlt haben, wie wir supporten können. Der Prozess ist natürlich noch in vollem Gange, und das muss er auch weiterhin bleiben. 

Ihr habt kein Standard-Schreiben zum neuen Album aufgesetzt, das betont, wie geil die Aufnahmen klingen. Lieber wurde für das Releasekonzert in Berlin ein musikalischer Spendenlauf für diverse Projekte angekündigt. Das Konzert fand ja allerdings als Verlosungsaktion mit begrenzter Teilnahme statt, wir wissen alle warum. Fiel es euch schwer, diese Form dafür festzulegen oder überhaupt die kollektive Entscheidung für/gegen ein Konzert gerade?

Wir haben uns schwergetan, ob wir das überhaupt momentan verantworten wollen, eine Veranstaltung zu machen und haben den Termin auch deswegen nochmal nach hinten verschoben. Zuerst wollten wir ein Live-Stream-Konzert mit ein paar Leuten machen, jetzt wurde es wie gesagt ein bestuhltes Offline-Konzert. Bei der Ankündigung standen unsere Inhalte und Texte im Fokus, denn für uns steht die Message dieser EP klar im Vordergrund. Musikalisch kracht es trotzdem, wir haben uns beim Sound unserer Songs schon immer daran orientiert, dass es zur Message passt.
Ein Spendenmarathon war es leider nicht, dafür war das Format zu klein. Das war eine schwere Entscheidung, weil wir eine ganze Liste an Projekten mit dem Fokus auf migrantische Selbstorganisation hatten, die wir unverzichtbar finden und sehr gerne unterstützen würden. Wir haben uns dann für „Women in Exile“ entschieden, das ist ein Verein aus Brandenburg, die von geflüchteten Frauen gegründet wurde, die seitdem wichtige Arbeit leisten, Asylpolitik aus feministischer Perspektive betrachten, und für ihre Rechte kämpfen.

Die zwei Songs „Szeneputzen“ und „Resilience“ scheinen mir sowohl auf Rassismus als auch Sexismus beziehbar. Wo seht ihr da Parallelen in den Lebenswelten, was ist spezifisch? Und welche konkreten Eindrücke stehen vielleicht auch doch ganz anders hinter den Liedern?                      

Natürlich hängen Rassismus und Sexismus zusammen und verstärken sich gegenseitig. FLINTs of Colour und queere Menschen of Colour werden gesellschaftlich mehrfach diskriminiert und sind täglich mit diesen Intersektionen konfrontiert. In beiden Songs gibt es jedoch explizite Hinweise darauf, dass es um Rassismus geht. Bei „Szeneputzen“ gibt es da die Eingangsszene „Dein Nachbar hetzt am Gartenzaun / am Gartenzaun so weiß und braun / für dich ist der Fall völlig klar / Nazis klatschen wunderbar“. Hier geht es darum, dass immer noch häufig Rassismus auf „Nazis“ bezogen wird, ganz überspitzt hier der Dorfnazi, der in seiner eigenen kleinen Blase seinen Parolen freien Lauf lassen kann und im Gegenzug vermöbelt wird. Aber das ist eine ziemlich eingeschränkte Sicht von Antirassismus: denn rassistische Scheiße passiert nicht nur da, wo wir uns komfortabel davon abgrenzen können, sondern auch in unserer eigenen Blase, in unserem Freund*innenkreis, in unserem Alltag. Bei „Resilience“ heißt es: „ignorance and hatred / we‘re rejecting your phrases / `cos people like you are fucking racist“ und der Song erzählt aus der Perspektive einer von rassischer Diskriminierung betroffenen Person davon, sich gegen den rassistischen Normalzustand zu wehren. Resilienz ist ein positiver Begriff, der psychische Widerstandsfähigkeit beschreibt.

Meine Beobachtung ist, dass rassistische Diskriminierung im Punk schon länger deutlich ernster genommen wird als sexistische, was trotz aller Slogans, Bekenntnisse und Songtexte auch in letzter Zeit aber eben nicht unbedingt nach sich zieht, dass sich eine Bandbreite von Menschen in dieser Szene dann auch wohlfühlt und aufhält. Wie seht ihr das? Eine Hierarchisierung, wer schlimmer dran ist, hilft sicher nicht, ich bringe diesen Eindruck aber an in der Verwunderung darüber, wie seltsam es ist, Solidarität in Häppchen auszuteilen und nicht als allgemeines Prinzip zu begreifen.                  

Rassismus ist schon länger Thema, das stimmt. Aber rassistisch sind dann immer nur „die anderen“, es wird auf Nazis, Polizei, Staat geschaut, was auch wichtig ist, aber szeneintern wird nicht geguckt oder die eigenen Zusammenhänge radikal kritisiert. Es gibt klare Feindbilder. Parolen brüllen bringt‘s dann halt auch nicht, wenn die eigenen Reihen ausschließend sind und diskriminieren. Es bringt was, sich an die eigene Nase zu fassen und sich zu fragen: warum ist das so, was können wir anders machen? Aktivismus darf nicht an dem Punkt aufhören, an dem jemand die Palette an aktuellen politischen Statements runterbeten und auf sozialen Medien posten kann. Es liegt in der Verantwortung weißer Menschen, die Komfortzonen zu verlassen, den Mund aufzumachen, oder an anderer Stelle in den Hintergrund zu treten und Supportarbeit zu leisten.

Spätestens seit 2010 lässt sich nach meinem Eindruck von einer neuen feministisch-antifaschistischen Punkwelle sprechen, mit Bands in Ost, Süd, Nord und West wie Petrol Girls, Mobina Galore oder Menstrual Cramps. Auch in Deutschland gibt es viele neue Bands, Konzert-Kollektive und Zines, z.B. Miley Silence, Molly Punch, böse und gemein, das Zank oder Okapi Riot. Wie verortet ihr euch darin/dazu? 

Feminismus, Antifaschismus und Antirassistische Arbeit müssen zusammen gedacht werden. Gerade in einer Zeit, in der rechte Bewegungen erstarken und Feminist*innen, vor allem Feminist*innen of Colour aktiv angegriffen und bedroht werden. Es ist immer wichtig, sich zu vernetzen, damit wir merken, wie viele wir sind und uns gegenseitig empowern können. Mit böse & gemein haben wir gerne zu tun, mit Miley Silence haben wir im Februar gespielt. Wir verorten uns in der Bäckerei und backen gern ein Stück vom Kuchen mit. Wir wollen Verantwortung übernehmen in der Szene und das bedeutet auch den Diskurs aktiv anzukurbeln. Zur Not heißt das die Konditorei abzufackeln. Wir nehmen Punk aktuell nicht als konsequent feministisch-antifaschistisch wahr. Das kann man z.B. daran festmachen, dass nur sehr wenige Bands, Labels und Läden sich aktiv zu Hanau, Halle oder BLM positioniert haben. Wir sind seit Jahren Teil der Szene und haben zu viel Ausgrenzung und Scheiße erlebt, um sagen zu können Punk ist geil. Unser Ziel ist es DIY als Community so zu gestalten, wie es für alle geil sein kann. Klar suchen wir dafür Verbündete. Dazu gehören auf jeden Fall die von dir genannten Bands. Geile Bands sind auch Anti-Corpos, Eat my Fear, tolle Musiker*innen sind Oyémi Noize und Fartuuna, um nur einige zu nennen. 

Abgesehen von dieser aktuellen Pandemie, wäre es (nach zig kleineren Ladyfesten) also Zeit für ein feministisches Punkfestival, auch nachdemLügen letztens noch mal die Ätz-Anteile eines bekannten Szene-Sommertreffs gut auf den Punkt gebracht haben. Was ist, bezogen auf Bookings annehmen, eure Strategie – Szene unterwandern und langsam umstürzen oder erst auch mal eigene Räume entstehen lassen und etablieren, sich eben nicht jedem potenziellen Scheiß von Orga, Mit-Line Up und Publikum aussetzen? Oder beides je nach Kontext?

Lügen haben auf jeden Fall klargemacht, wieso Punkfestivals aus feministischer Perspektive oft nicht auszuhalten sind. Wir setzen uns nicht jedem beliebigen Scheiß an Kontext aus. Wenn uns Festivals anfragen, auf denen sonst nur weiße Typen spielen und ohne Shirt auf der Bühne rumspringen, überlegen wir nicht lang und sagen ab. Es macht keinen Spaß und ist kräftezehrend, wenn man weiß, dass die Orga nicht hinter dem steht, was wir auf die Bühne bringen. Wir haben aber auch schon im Vorprogramm von bekannteren Cis-Dude-Bands gespielt, wo dann viel Publikum war, das uns nicht kannte, wir Irritationen verursacht haben und wir Leute mit feministischen Botschaften konfrontiert haben, für die das ein neuer Zugang war. Am schönsten sind aber die Abende, wo wir eingeladen werden, mit tollen Bands zu spielen, und am Ende geht ein Haufen Leute mit Power nach Hause und will was bewegen. Am besten wärs, einen neuen Normalzustand in der Szene hinzukriegen, wo die Regel ist, dass BIPoC-Personen und FLINT-Personen Lust haben, auf Bühnen und im Publikum zu stehen. Die Strategie, um da hinzukommen? Szeneputzen, Räume öffnen, Bands gründen, Bühnen kapern, coole Konzerte organisieren.

Nach eigener Angabe habt ihr 2017 den Pöbel Award in der Kategorie „Macker Schubsen“ erhalten. Wie lange habt ihr dafür trainiert, wie viele habt ihr erwischt und werdet ihr beim Aufbauen oder in anderen Situationen heute immer noch dumm angequatscht, wie ihr es am Anfang als Band erlebt und in unserem letzten Interview öffentlich gemacht hat, oder gabs da was von Ratio-Punk? Was wäre euer Rat an Bands, die sich neu gründen?

Achja, das mit dem Pöbel Award ist dann, nachdem wir den dieses Jahr das vierte Mal in Folge erhalten haben, irgendwie zur Selbstverständlichkeit geworden. Auch schön ist dabei, dass jedes Jahr mehr Bands Preisträger*innen sind. Das ist doch Mal eine positive Entwicklung. Dumm angequatscht wenn es um Technik geht, bei Interview unterbrochen, sexualisiert und exotisiert werden alle FLINT-Menschen, vor allem auch in Szenen. Daran ändert sich nichts, wenn das große Ganze nicht angegangen wird. Unser Rat an Leute die Bands gründen wollen: Ihr habt was zu erzählen, das ist wertvoll, macht das! Lasst euch nicht erzählen, ihr könnt oder dürft irgendwas nicht. Wir haben zum großen Teil unsere Instrumente im Proberaum oder auf der Bühne spielen gelernt. Sehr hilfreich ist es, einen Laden zu kennen, wo man unkompliziert auftreten kann. Oder warum nicht mal ne WG-Party? Sucht Support bei euren Friends. Das mit der Aufregung, das ist schwer, ja, damit haben wir auch immer noch zu kämpfen. Wird aber weniger, oder ist auch Mal ganz schön. 

Ein paar Aufgaben habt ihr an euer Label oder andere Leute um euch rum abgetreten, z.B. Anfragen zu Interviews. Und ein Band-Telegram-Kanal habt ihr/wurde für euch/von euch vor der EP eingerichtet. Ich persönlich habe den gemutet, weil ich gern selbst entscheide, wann ich mich dem Szenekram neben der Lohnarbeit widmen kann. Gucke da auch nicht wirklich rein, weil ich diese Art von Dauermotivation, aufmerksam zu bleiben, nicht so mag. Für andere und vor allem vergessliche Leute ist das aber vielleicht ne schöne Sache.

Welche Band-Aufgaben bleiben unbedingt bei euch und werden gar nicht aus der Hand gegeben? Und ihr habt die EP ohne Label veröffentlicht, warum war euch das wichtig, als Band den Release zu verantworten?

In “Team Scheisse” geht es um Rassismus und um die Unzufriedenheit innerhalb der eigenen Blase und der weißen Strukturen dahinter. Klar, dass wir diese Songs nicht über ein weißes Label herausbringen. Via Bandcamp ist es für uns leichter mehr Spenden zu sammeln und weiterzuleiten. Mit Spotify ginge das nicht bzw. wir hätten zusätzlich noch etwas von dem Betrag an diesen Ekelkonzern abgeben müssen. Gleichzeitig war uns aber auch klar, dass mit einem Release viel Arbeit auf uns zukommt, daher haben wir uns ehrenamtliche Unterstützung aus unserem Umfeld geholt, zum Beispiel für die Konzertorganisation, die Promo oder die Erinnerung an Deadlines (Danke Sam!). Es war uns als Team wichtig, mit so vielen BiPoC-Person und FLINT wie möglich zusammen zu arbeiten, also auch was die Berichterstattung und die bespielten Netzwerke betrifft. Das ist zwar mehr Arbeit im Zweifelsfall, weil die ausgelatschten Pfade nicht funktionieren, aber so konnten wir auch Hinter den Kulissen einen klaren politischen Fokus legen und Strukturarbeit leisten. DIY bedeutet gemeinsam etwas zu gestalten. “Team Scheiße” ist damit nicht nur eine EP von Deutsche Laichen, sondern auch ein kollektives Produkt aus unserem Umfeld.

Personell und örtlich habt ihr euch als Band verändert. Mit Lila sitzt eine neue Person am Schlagzeug. Wie wirken sich neue Bandbesetzung und Stadt auf eure Schreib- und anderen Produktionsprozesse aus, auch im immer noch zu bewältigenden Pandemie-Alltag? 

Wir proben und produzieren unregelmäßig in Berlin. Die neue Besetzung der Band hat dazu geführt, dass wir musikalisch nochmal enger zusammenarbeiten, und Lila ist einfach eine tolle Schlagzeugerin und Bandenmitglied. Leider konnten wir Corona-bedingt noch nicht so oft zusammen auf der Bühne stehen, aber das geht hoffentlich, wie auch immer, bald wieder regelmäßiger. Ansonsten haben wir viel im Internet miteinander zu tun.

Wie sähen Konzerte künftig aus, wenn der Szeneputz gewirkt hat; was könnte Punk in Deutschland (und darüber hinaus) mal hinter sich lassen? Am Schluss ist noch mal Platz für eine utopische Vision.

Es ist 2029… der Impfstoff für Covid-19 ist schon lange gefunden und global fair verteilt, wir sind alle vor der Pandemie sicher. Als Konsequenz der pandemiebedingten globalen Solidarität und der langanhaltenden Riots wegen der erstarkenden Rechten und der massiven rassistischen Gewalt in den vergangenen Jahren hat sich eine ganz neue Bandbreite an politischer Bildungsarbeit und Aufarbeitung ereignet, niemand hätte gedacht, dass das so umfassend und gründlich möglich sein könnte. Der unerbittliche Kampf gegen die rassistischen Strukturen in der Gesellschaft, vor 9 Jahren für BIPoC-Personen noch so alles beherrschend, lebensbedrohlich und erdrückend, hat Erfolg, zum Glück gibt es viele helfende Hände und Köpfe. Auch der Feminismus hat einen großen Sprung getan und ist mitten in der Gesellschaft gelandet. Du hast Feierabend, warst heute ein paar Stunden auf freiwilliger Basis in der Schule unterrichten (dank deinem Grundeinkommen bist du darauf ökonomisch nicht angewiesen, aber du machst es, weil es dir wichtig ist), postcolonial studies als Basiswissen in der vierten Klasse, die Kids fahren voll drauf ab und sind voller Unverständnis und Fragen über die Verhältnisse in der Vergangenheit. Du schaust dir die Wachstumsfortschritte deiner Zucchinis an und fragst dich, was der Tag wohl noch so bringen mag. Dein*e Freund*in ruft an und sagt: Deutsche Laichen spielen open air im Blub (ehemals Badeparadies, dank einer erfolgreichen Besetzung vor sieben Jahren ist das jetzt ein riesiges Projekt, da gibts einen Wagenplatz, Konzerte, Theater, einen Gemeinschaftsgarten, Werkstätten…). Deutsche Laichen? Die hast du doch vor zehn Jahren schonmal gesehen. Also auf dein Rad geschwungen, das du dir liebevoll aus Second Hand Bauteilen zusammengebastelt hast, die Zeit dafür konntest du dir zum Glück nehmen, und ab durch die üppig begrünten Straßen Neuköllns. Als du ankommst, ist der Platz schon gut gefüllt mit ganz unterschiedlichen Leuten, die alle eins gemeinsam haben: du vertraust ihnen, du kannst dich sicher und aufgehoben fühlen, denn ihr seid solidarisch miteinander und habt euch gegenseitig auf dem Schirm. Deutsche Laichen sind heute unter den fünf Bands im Programm die mit den meisten weißen Mitgliedern, das ist ganz selbstverständlich. Der Struggle der letzten Jahre, was die Zusammensetzung der Menschen im Rampenlicht angeht, war hart, aber erfolgreich, die Szene hat sich massiv diversifiziert, was auch auf den Bühnen zu sehen ist. Cis-Männer halten sich im Hintergrund auf, ihnen ist bewusst, dass das queerfeministische Line-up nicht für sie schreibt und schreit. Der Abend dämmert, die Scheinwerfer gehen an, der Krach beginnt.

https://deutschelaichen.bandcamp.com/album/team-schei-e

Oktober 2020

https://deutschelaichen.bandcamp.com/album/team-schei-e

Fotos: © Deutsche Laichen