Wenn der Punkopa erzählt
Alte Bands? Reunion? Schwieriges Thema. Vor ein paar Jahren in Köln: Scream (Dischord) spielten im mäßig gefüllten Underground. Solides Handwerk. Die erste Reihe eine Ansammlung von dicklichen, älteren Herren. Und ich war einer von ihnen. So viel Mühe wir uns auch gaben, das euphorische Gefühl von damals wollte und wollte sich einfach nicht einstellen. Ein untauglicher Versuch der eigenen Adoleszenz nachzuspüren. Ich zog mich an die Theke zurück, schämte mich für mich, für die Band, für uns alle. Warum tut sich eine Band so etwas an, wenn der Zug doch schon vor Jahren oder Jahrzehnten aus dem Bahnhof gefahren ist?
Die Fünf-Freunde-Variante
Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, die bürgerliche Karriere steht auf soliden Füßen, die langjährige Beziehung ist in den Teich gesetzt oder das anfängliche Prickeln wurde durch Alltagsroutine ersetzt. Vielleicht wurde sogar ein Häusle gebaut und fast abbezahlt. Schleichend kriecht die Unzufriedenheit hoch, war das etwa schon alles? Experten sprechen hier von Midlifecrisis.
Aber da war doch noch was anderes. Die Band! Touren! Wolle hat damals in Pforzheim auf die Becken gekotzt. Und in Flensburg haben wir dem Veranstalter in die Stiefel gekackt. War das ein Arsch! Und was in Bielefeld passiert ist, bleibt in Bielefeld. Micha hat aber noch Fotos von dem Exzess. Goldene Erinnerungen. WhatsApp-Gruppe: Micha macht gerade eh ein Sabbatical und Wolle und die anderen kriegen im Juli Urlaub. Perfekt. Ab auf die Straße. Volker Lechtenbrink singt dazu: „Leben so wie ich es mag, Leben spüren Tag für Tag.“ Problem: So jung kommt ihr dann doch nicht mehr zusammen. Eigentlich harmlos, aber ich will euch dabei nicht zusehen.
Die Weil-man-sie-lässt-Variante
Die hätte ich damals ja gerne gesehen, aber die kamen nie nach Europa. Oder: Die erste Tour war der Hammer, aber da war ich erst 14 und ich durfte nicht. Dafür gibt es einen Markt und Veranstalter, die sich vielleicht ihren ganz persönlichen Jugendtraum erfüllen wollen. Geht häufig schief. Drei Beispiele: Angry Samoans in Köln: Metal Mike schiebt die Monitorbox um Zentimeter nach links, dann nach rechts, links, rechts, links, rechts, das geht so eine ganze Weile. Scheint ein Tic zu sein. Metal Mike schnallt sich die Gitarre um, schnallt sie wieder ab, schnallt sie um, schnallt sie ab, die Bandkollegen schon lange im Song, aber er weiß noch nicht so recht, ob er mitspielen will. Metal Mike kann sich nicht an den Text erinnern. Wie ging der nochmal? „They saved Hitler’s cook. They hid it under a rock“. So schwer ist der doch nicht. Gruselig! SNFU in Düsseldorf: Mr. Chi Pig hatte (hat?) bekanntlich ein schweres Drogenproblem. Er ist sehr wackelig unterwegs, trägt Knieschoner und kann nicht so lange stehen. Immer wieder geht er am Bühnenrand in die Knie und gibt den zahlreichen Fotografen Futter. Wer braucht noch eine zahnlose Grimasse? Bitteschön. Es hat was von Gaffern bei Autounfällen. Gruselig! Black Flag in Oberhausen: Wellenbrecher vor der Bühne im Druckluft. Erstaunlich. Man lässt sehr lange auf sich warten, vermutlich, weil noch ein paar Grasvorräte vernichtet werden müssen. Greg Ginn ist schon bei der Vorband involviert und dehnt die Zeit ins Unendliche mit seinem Theremin. Scheint ein neues Spielzeug zu sein. Es folgt eine lange Pause. Irgendwo war doch noch Gras im Backstage. Dann – endlich – starten Black Flag mit „Gimmie Gimmie Gimmie“. Ein Klassiker! Nur leider in slow motion. Ich bin dann gefahren.
Die Geld-Variante
Geld ist ein guter Grund. Vielleicht der einzig akzeptable Grund. Keine Rücklagen. Kein üppiges Erbe. Keine bürgerliche Karriere. Aber Miete und Rechnungen müssen bezahlt werden. Da gibt es kaum eine Alternative zum Weitermachen. H.R. von den Bad Brains weiß wie das geht. In Köln kam er damals im Anzug mit Aktentasche auf die Bühne. Ein „Ich mach‘ hier nur meinen Job“ im Gesicht. Der Job war dann schon nach arbeiternehmerfreundlichen 45 Minuten wieder vorbei. Gerne hätte ich damals in seine Aktentasche gelinst, in der ich Stulle und Thermoskanne vermutete.
Bei der Geld-Variante wird es oft seltsam. „Verrat!“ „Kommerz!“ „Hast du gesehen, was die Tickets kosten?“ „Slime sollen jetzt ja so hohe Gagen fordern.“ „Und hat Jens Rachut damals nicht „Reunion stinkt“ oder so ähnlich gesungen, was soll das mit Ratttengold?“ Beliebige Beispiele. Tatsächlich kenne ich weder die Gagenforderungen noch die Ticketpreise von Slime, aber das ist der Sound dieser Diskussionen. Öfters war ich selbst in solche Diskussionen verwickelt. Und in jüngeren Jahren habe ich das Moralin bestimmt auch mit großen Kellen ausgeteilt und den Ankläger gegeben. Da war die Frage nach Hotelzimmern schon ein Skandal, wo wir doch so ein tolles Matratzenlager für Bands in der WG hatten.
Heute geht mir diese Kritik bzw. „Gratismoral“ (Wiglaf Droste) nur noch auf den Sack. Ich stelle mir dann vor, wie Dicken oder Rachut ihre jährliche Post von der Rentenversicherung aufmachen und einen Blick auf die Zahl werfen, die da steht. Ich tippe da auf eine Versorgungslücke. Ich denke dann, die haben was riskiert in ihrem Leben, sind höchst wahrscheinlich prekär und haben jahrelang in selbstausbeuterischen Zusammenhängen gewirkt. Ist doch gut, wenn endlich mal Geld bei denen reinkommt. Daher: Take the money and run.
Ich selbst bekomme mein Geld immer pünktlich am Monatsletzten. Ich habe eine bürgerliche Karriere. Ich kann mir Punk als Hobby (Konzerte, Platten kaufen, noch mehr Platten kaufen, Label) leisten. Ich habe nicht so viel riskiert.