Peppone – schöne Aussichten im Interview

Früher mal Beatboxpunk und schon gar nicht schlecht. Jetzt schon eine richtige Band geworden. Die Jungs aus Magdeburg machen wohl das, was man üblicherweise intelligenten deutschen Punk nennt. Und auf dem neuen Album nehmen sie uns mit auf die Reise und schöne Aussichten. Sentimental, lyrisch und traurig schön, ohne dabei in Selbstmitleid und ‚Du bist nicht allein‘-Pathos-Seifenlauge zu enden. Vielmehr ist der Blick durch die graustufige Brille ein wohlwollender. Ähnlichkeiten mit den Boxhamsters sind für mich unüberhörbar und Anlass zur Freude.


Herzlichen Glückwunsch! Mit dem dritten Album habt ihr es auf das Major Label geschafft! Wundert mich, dass ihr das nicht schon viel früher geschafft habt. Woran lag es? Was ist jetzt anders?

Jens: Vielen Dank Swen. Wir haben vorher nicht gefragt. Die ersten beiden Alben erschienen in Eigenregie gemeinsam mit der Bördebehörde. Die Bördebehörde ist (k)ein Label von Torsten Guru †Mosh, der wiederum Bestandteil im Team Peppone ist. Torsten hat alles für uns rund um die Herstellung und um den Verkauf geregelt. Er macht auch heute noch generell alle Sachen, die etwas †mit Layout zu tun haben. Vom Konzertticket, Werbeflyer, Facebookauftritt bis hin zur Covergestaltung. Wichtiger Mann im Team. Unterstützt wurden wir bei den ersten beiden Alben auch von Elfenart Records… ansonsten sind wir nach der “Ohne Grund” öfter mit Klotzs, Panikraum oder Die Strafe unterwegs gewesen, Alexander Strafe hat den Kontakt zu Rob vom Major Label für uns aufgebaut.

Normen: Ansonsten hat sich mit dem Major Label nicht viel geändert. Wir konnten genau die Platte machen, die wir machen wollten. Das Major Label hat sich in die Produktion der Platte nicht eingemischt. Bei der Platte waren wir zwar das erste Mal in einem richtigen Studio, wir hätten die Platte aber auch wieder im heimischen Proberaum aufnehmen können und dennoch beim Major Label veröffentlichen. Wir erhoffen uns durch das Major Label natürlich etwas mehr Reichweite für die Platte und Unterstützung beim Vertrieb.

Eure Texte sind sehr lyrisch und auf den ersten Blick nicht so direkt verständlich. Auf der Splitsingle mit DIE STRAFE hattet ihr eine Ausnahme gemacht und mit ‘Faschist’ von DIE FIRMA einen sehr direkten Song gecovert. Liegen euch die direkten Songs nicht so?

Jens: Faschist gehört für uns zur musikalischen Früherziehung. Die Firma war eine der ersten Bands in meinem Leben, die ich live gesehen habe. Dieser Song verdient es einfach weiter getragen zu werden… ansonsten sind wir ein Team im Texten, heißt das mehre Personen Texte zum aktuellen Album beigetragen haben.

Normen: Grundsätzlich mag ich eher Songs mit Texten, die nicht so direkt sind. Ich finde es gut, wenn jeder die Texte aus seiner Perspektive deuten und interpretieren kann. Bei Die Firma kann ich Jens nur zustimmen. Das war eine der ersten Bands, die ich Anfang der 1990er Jahre live gesehen habe und leider hat der Text von Faschist nicht an Relevanz verloren.

Tuba: Ich bewundere alle, die unpeinliche direkte Texte schreiben können. Das ist schon eine große Kunst, unter den vielen möglichen Wörtern genau die richtigen auszuwählen. Für uns persönlich sind die Texte natürlich sehr gut verständlich und handeln von einem konkreten Thema, allerhöchstens „Viktor“ hat so einen poetischen Einschlag.

Musikalisch und textlich wirkt ihr aber schon pathetisch, ohne dabei ins dumpfe Pathos abzugleiten. Im krassen Widerspruch steht dazu eure Optik, auf den von euch veröffentlichten Fotos… auch die von euch mitorganisierten Dampferfahrten scheinen eher eine feuchtfröhliche Angelegenheit zu sein … so richtig passt das nicht zusammen, oder?

Jens: Wir nehmen unsere Musik sehr ernst und Melodien und Eingängigkeit sind mir besonders wichtig, aber wir sind nun mal auch lustige Typen. Ich lass das mal so stehen.

Normen: Wir haben immer mal die Rückmeldung, dass andere uns und unsere Musik eher als pathetisch und melancholisch wahrnehmen. Das ist spannend, weil ich das gar nicht so empfinde.

Deswegen ist es für mich auch kein Widerspruch feuchtfröhliche Dampferfahrten zu organisieren. Außerdem spielt sicher auch der Humor von Torsten eine große Rolle. Der macht dann eben auch mal Konzertflyer im Schlager- oder Metalstil.

Die Covergestaltung, auch wenn’s kein Schlagerstyle ist, ist ja auch sehr gelungen: Das Foto könnte sinnbildlich für die Band stehen, Riesenrad an der Abbruchkante… ist das so gezielte Suche nach so einem Motiv oder Glückssache?

Jens: Wie gesagt, Torsten hat das Cover von vorn bis hinten gestaltet – er hat den Blick für so was. Das Bild selbst stammt von Michi, einem alten Freund von mir aus Berlin, der gern und gut fotografiert. Michi hat auch das Bild zum Cover für die “Ohne Grund” geschossen, daher haben wir gezielt bei ihm gesucht und tatsächlich Glück gehabt.

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Bezüge habe ich in euren Songs zur DDR- und Wendezeit reininterpretieren können. Welche Rolle spielt diese Zeit für euch noch?

Jens: Was meinst Du damit?

Normen: Auf der neuen Platte gibt es keinen Song mit Bezügen zur DDR und Wendezeit. Dennoch hatte diese Zeit eine große Bedeutung für mich. Zur Wende war ich 14 Jahre und besonders die Nachwendezeit hat mich politisiert und den Zugang zu der Subkultur geschaffen, in der wir uns immer noch bewegen.

Tuba: Die Wende kam für uns genau zum richtigen Zeitpunkt. Wir waren zu jung, um in der DDR irgendwelche Repressionen zu erfahren, allenfalls gab davon eine vage Ahnung. Genau in dem Moment, in dem ich Interesse hatte, selbst Musik zu machen, gab es günstige Instrumente, sowie massig Bands und Auftrittsmöglichkeiten. Ohne die Wende hätten wir Freiheit und Selbstbestimmung mit Sicherheit nicht in diesem Maße erfahren und dieser Umstand prägt auch unsere Ansicht von Freiheit, Selbstbestimmung und Pluralismus als unverzichtbare hohe Werte.

Der Titel Zwischenpisser stellte für mich so einen Begriff dar, der ja nur in der DDR gebraucht wurde. Und da dort ja auch von früher die Rede ist …

Tuba: Der “Zwischenpisser” stellt in einer Hierarchiekette die Mitte dar, in Fahrradfahreranalogie gesprochen “nach oben bücken, nach unten treten”. In der DDR war das besonders krass in der Nationalen Volksarmee. Es gab die EK´s, die Zwischenpisser und die Sprutze. Die EK´s waren die dienstältesten Soldaten, hatten etliche Privilegien und haben die Neuen, die Sprutze, in der Regel ordentlich drangsaliert. Dazwischen eben der Zwischenpisser, heilfroh, der Schusslinie entkommen zu sein und mit Vorfreude auf die künftige Machtposition. Wer “ek bewegung” googelt, findet einiges. Ich persönlich bin heilfroh, durch die Wende dem unausweichlichen Grundwehrdienst entkommen zu sein. Ein etwas älterer Freund aus meinem Heimatdorf hat durch seine Armeezeit bleibende psychische Schäden davongetragen.

In einem anderen schönen Zitat singt ihr ‘I’m so bored with the BRD’ … ich selbst benutze auch immer wieder den Begriff DDR, wenn ich von der SBZ spreche… wie handhabt ihr diese Begrifflichkeiten im Alltag?

Normen: Wenn wir von der BRD sprechen, meinen wir die gesamte Bundesrepublik. Ich benutze den Begriff DDR gar nicht mehr, um die neuen Bundesländer zu beschreiben. Auch Osten oder Westen sind für mich persönlich eher Beschreibungen von Himmelsrichtungen.

Tuba: Wow, SBZ ist ein geiler Begriff! Direkt nach der Wende haben wir auch immer rumgeulkt, „Yeah, wir sind die Zonis, wir sind die Zonendödel!“ Damals konnte man sich noch herrlich über die ganzen Jammerossis lustig machen, heute ist es mir völlig unverständlich, wie jemand sein Selbstbewusstsein und seine Identität über eine regionale (ostdeutsche) Herkunft definieren kann, leider ein unguter Trend in unserer Wohngegend, noch unverständlicher ist der Umstand, dass diese Menschen zum Teil noch keine 30 Jahre alt sind.

Ja, gerade in Bezug auf das 30jährige Einheit ist mir das nochmal deutlich geworden. Da wurde der Opferstatus ja noch einmal zelebriert. Ich denke dadurch werden Unterschiede eher deutlicher definiert. Was haltet ihr von der These, dass es sich im Trauma ganz bequem leben lässt?

Normen: Ja, ich denke schon, dass es Menschen gibt, für die die Opferrolle bequem ist und diese dann auch mit großer Leidenschaft zelebriert wird. Es ist ja so, dass es bei vielen Menschen zu Biografiebrüchen oder Abwertungserfahrungen auf Grund ihrer Herkunft kam. Ich persönlich kann mit dieser Rolle aber nichts anfangen. Wie Tuba schon sagte, haben wir alle von der Wende profitiert. Auch wenn es viele Dinge gibt, die in diesem Prozess nicht gut gelaufen sind, will ich nicht die DDR zurück oder konstruiere meine Identität über die ostdeutsche Herkunft.

Tuba: Quatschtrauma, die Leute wollten offene Grenzen, schnelle Autos und deutsche Mark. Das ist nicht verwerflich und das haben sie auch bekommen. Sich anschließend darüber zu wundern, wie Kapitalismus funktioniert ist schon fragwürdiger, das hat wirklich jeder im Staatsbürgerkundeunterricht ausführlich vorgekaut bekommen. Wer nicht im Tal der Ahnungslosen wohnte, hatte zudem noch das beliebte Westfernsehen um sich zu informieren. Die heute noch vorhandene Fokussierung auf die Unterschiede und die Jammermentalität der Ostbeauftragten tendieren aus meiner Sicht leider zu einer Neidperspektive, so “och menno, die verdienen mehr und kein DAX-Unternehmen will nach Ostdeutschland”.

Der Song Kalimandscharo scheint vom Laufen zu handeln… mache ich auch selbst gerne… wer von euch ist denn so mit Leidenschaft dabei, dass er so eine schöne Hymne darauf schreibt?

Jens: Den Text hab ich geschrieben. Tatsächlich war ich bis Ende 30 einer der unsportlichsten Menschen in meinem Umfeld. Ich interessiere mich auch nicht einmal für Ballsportarten. Aber irgendwann denkt man drüber nach sich fit zu halten. Klingt vielleicht bescheuert, ist aber bei mir so gewesen. Laufen, jetzt kommt wahrscheinlich der Unterschied zu Dir, ist das Einzige, was ich prima mit meinem Hund zusammen machen kann. Tut uns beiden gut. Ich kann dabei übel gut abschalten, das befreit … und der Kalimandscharo ist ein Kaliberg nördlich von Magdeburg. Einmal im Jahr gibt es dort ein Laufevent, da nehmen wir teil. Normen und ich. Dieses Jahr eigentlich auch Tuba, so war der Plan vor Corona. Wir laufen also fast alle gern. Nächstes Jahr dann hoffentlich. Bist gern eingeladen für das Team Peppone anzutreten!?

Können wir gerne mal lose ins Auge halten, wobei 16% Steigung ja nicht ganz ohne sind…

Normen: Ach, das ist machbar und an den steilen Stellen ist auch gehen erlaubt. Grundsätzlich finde ich es faszinierend, dass man außer ein paar Schuhen nicht viel braucht, um Laufen zu gehen und wie Jens schon sagt bekommt man wunderbar den Kopf frei. Nur das mit den Ballsportarten kann ich so nicht stehen lassen. Tuba und ich spielen auch gemeinsam Fußball und haben eine Dauerkarte für das Heinz-Krügel-Stadion.

Den Fanfreundschaftsschal zwischen Magdeburg und der Borussia aus M’chengladbach gibt es aber noch nicht, oder?

Normen: Nein, den Schal gibt es noch nicht aber zumindest sind gegenseitig Einladungen zum Stadionbesuch ausgesprochen.

Tuba: Nichts offizielles, aber in einem der letzten 11Freunde-Magazine war mein Bekannter Martin, Ordner beim FCM und Gladbachfan, fotografiert mit FCM UND Gladbach Devotionalien. Bei der Wahl offizieller Fanfreundschaften guckt der FCM-Fan eher in Richtung unterklassiger polnischer Vereine, auch wieder so eine Ostmarotte.

Es gibt ja auch eine langwährende Freundschaft zu M’chengladbacher Bands. Man spricht ja hier mittlerweile auch vom Magdeburg des Westens, wenn man von der Niederrheinmetropole spricht … wo hat die denn ihren Ursprung?

Jens: Magdeburg des Westens, sehr schön Der Ursprung liegt darin, dass sich alles aus dieser musikalischen Gegend auf unseren Plattentellern dreht, seit wir Musik machen. Wir haben schon Ende der 90iger viel mit der Band EINLEBEN gemacht. Die wiederum hatten eine Split mit DIE †STRAFE. Vor 6 Jahren spielten wir dort in Heinsberg in einer Kneipe mit Hi Tereska (exEINLEBEN) zusammen, Kai Strafe war auch dort und wir kamen ins Gespräch. Wir spielten das erste Konzert mit DIE STRAFE, Alexander sang als Gast auf der OHNE GRUND und wir organisierten unsere erste Bootstour mit DIE STRAFE. So nahm alles seinen Lauf. Inzwischen haben wir regelmäßigen Kontakt, auch außerhalb der Musik.

Vielen Dank für das Interview.

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