Chris von KOTZREIZ im Interview zum neuen Album

Na, ditte haben sich die drei Berliner Flitzpiepen um Kotzreiz wohl anders vorgestellt: Eine Woche bevor sie nach fünf Jahren ohne jegliche Veröffentlichung ihr neues Album mit dem prophetischen Titel „Nüchtern unerträglich“ veröffentlichen, wird die ganze Stadt auf Standby betrieben: Kneipen und Clubs alle dicht, Menschenansammlungen von mehr als drei Leuten werden mit Isolationshaft bestraft und wer in der Ringbahn hustet, wird vorsorglich vom Ticketkontrolleur noch vor Ort mit dem Bolzenschussgerät notgeschlachtet. Aber the show must go on, wie der Franzose sagt und deswegen wird weitergesoffen, aber im hammerheadschen Sinne wohl allein.

Und deswegen hat uns Schlagzeuger und Sänger Chris Kotze uns ein paar Fragen beantwortet. Visionär bereits vor Wochen aus hygienischen Gründen per E-Mail. Ein Kotzreiz bringt ja nüscht jeden Tag ein neues Album raus und die verbindende Klammer „Saufen“ wird im Punk in der Regel ja absolut tabuisiert. Da sind wir natürlich schwer interessiert, was es mit dem neuen Werk auf sich hat. Pluspunkt übrigens: Der Reim von „Bank“ auf „Punk“ direkt im zweiten Stück. Da hüpft das alte Deutschpunkherz mit seinen vier Bypässen. „Nüchtern unerträglich“ erscheint am 20. März in allen Plattenläden, die noch geöffnet sind.

Falls Fans jetzt übrigens im Berliner Telefonbuch nach Chris Kotze suchen, um ihren Star mal anzurufen sei gesagt: Das ist natürlich ein Künstername. Der Mann heißt eigentlich Christopher.

Hallo Chris Kotze, wir haben es gleich zwei Uhr nachmittags. Wieviel hast du heute schon getrunken?

Hallo Philipp Meinert! Es ist Sonntag und ich war gestern auf dem Abschiedskonzert von „Off The Hook“, jetzt werden die wenigstens auch mal endlich im Plastic Bomb erwähnt, und da musste natürlich bisschen was getrunken werden. Heute: Kater! Normale Menschen würden jetzt wohl einen Kaffee trinken aber ich bin der Meinung, dass Getränke, genau wie Rache, am besten kalt serviert werden. Zurück zur eigentlichen Frage: Drei Schlücke abgestandener Vita Cola, jetzt wird die wenigstens auch mal im Plastic Bomb erwähnt!

Die große Klammer eures neuen Albums „Nüchtern unerträglich“ ist ja der Konsum der Alltagsdroge Alkohol. Wurde das Thema eurer Meinung nach bisher zu wenig in der Musik gewürdigt?

Manche Themen lassen sich in einem nach Schweiß und Rauch riechenden, versifften, laut grölenden „Dosenbierambiente“ einfach besser besprechen. Das Thema Alkohol ist ja nicht nur lustig und witzig. Der Text zu „Nüchtern unerträglich“ ebenfalls nicht. Menschen nicht. Das Leben nicht. So stumpf wie es vielleicht auf den ersten Moment erscheint sind unsere Texte nicht!

Streckenweise kommt bei eurem Album schon einiges an Frühneunziger-Schnauzbartpunk Richtung Hannen Alks, Lustfinger und Dimple Minds durch. Stand die „Kampftrinker Stimmungshits“ hier Pate?

Haha Frühneunzigerschnauzbartpunk!? Das möchte ich ab jetzt auf jedem Konzertflyer als Bandbeschreibung lesen! Da ich deinen Musikgeschmack halbwegs zu kennen glaube, fasse ich es als Kompliment von dir auf und bedanke mich. „Wer oder was hat euch bei den Aufnahmen inspiriert? Könnt ihr vielleicht ein paar Künstler nennen?!“ würde die Frage normalerweise lauten. Da muss man Dir auch mal ein Kompliment machen. Du bist ein guter Interviewfragensteller, Phillipp!

Aber ihr sprecht ja auch wichtige Themen an wie „Eiskalte Ohren“. Gestylte Punkerfrisen und Mütze oder Ohrenschoner schließen sich ja traditionell gegenseitig aus. Wird die Szene da eine Lösung finden oder müssen wir einfach warten, bis der Klimawandel das erledigt?

Ist das eine Modefrage? Geht es in „eiskalte Ohren“ um Mode? Um Klimaschutz? Um Ost/West Deutschland? Um den kalten Krieg? Um Drogen? Ums Wetter? Vermutlich reicht es nicht eine Frage nur mit Gegenfragen zu beantworten. Da Mensch rumlaufen kann wie er/sie möchte und Traditionen gebrochen werden dürfen , finde ich den von dir oben erwähnten Style durchaus tragbar.

Was fürs Herz ist ja „ punkboys dont cry“ und sticht ja auch etwas heraus. Grade noch Saufi-Saufi, jetzt auf einmal Duesenjäger , Captain Planet oder Matula. Verpackt das der/die normale Kotzreiz Fan?

Ich finde alle von dir genannten Bands gut aber finde den Vergleich gemein und unfair! Denen gegenüber! Und uns gegenüber! Wenn ich mich total anstrenge und zufällig ein Schlaumeierlexikon dabei habe, kapiere ich vielleicht bei 20 Prozent der Captain Planet Texte worum es geht. Höchstens! Ne Zeit lang hatte ich mal einen Hund namens „Rambo“ ( Captain Planet haben ein Lied das so heißt). Ich fände es schön wenn Menschen ihre Haustiere „Dusty“ ( das erste Lied unserer Platte) nennen würden. „punkboys don’t cry“ könnten viele Leute bestimmt zu poppig oder zu lang oder zu schmalzig finden. Vielleicht auch zurecht! Aber wir mögen das Lied sehr und wenn es jemand nicht gefällt muss er oder sie es ja nicht hören. So einfach kann das Leben manchmal sein!

Ein Lied ist gar nicht so neu , sondern kam bereits 2015 als Single heraus. Warum habt ihr „Ratten im System“ nochmal auf „Nüchtern unerträglich“ genommen?

Stümmt! Unfassbar, dass auch schon wieder fast 5 Jahre vergangen sind seit der Single. Wir haben halt alle auch noch andere Bands und Musikprojekte nebenbei. Unser letztes Kotzreiz-Album kam 2012 raus, ich hab mich total erschrocken als ich bemerkt hab wie lange das schon her is. 2015 kam dann Matt am Bass dazu und hat wieder so‘n bisschen die Euphorie neu entfacht. Diese hat nun knackige 5 Jahre später ihren Höhepunkt erreicht. Die Euphorie. Wir sind halt einfach lahme Typen.

Noch eine Unterstellung: Habt ihr bei „nix zu verliern“ das Festival Publikum im Blick? Das ist ja wirklich der Sommer-Sonne-Mitgröhlsong schlechthin.

Da wir eigentlich so gut wie nie (aus Zeitgründen) bei irgendwelchen Sommer Open Airs spielen, kann das nicht der Grund gewesen sein. Aber ja, es ist als SommerSonneGuteLaune Lied gedacht. Das sollen die Kids hören, wenn sie in einer lauen Sommernacht mit dem klapprigen Rad und nem Kasten Bier mit ihren Kumpels zum Baggersee fahren.

Und dann überrascht am Ende das Lied „der räudige Aal“ mit einem klaren NDW Outfit Marke Ideal. Ich dachte immer auch, Kotzreiz wäre für euch auch etwas Eskapismus zu euren anderen, etwas mainstreamigeren Bands. Überschneiden sich die Welten da doch?

„Eskapismus“ könnte ein Captain Planet Zitat sein. Respekt! Kotzreiz war schon immer ne Band die nicht NUR sogenannte Zecken hören. Ganz im Gegenteil. Viele „echte Punker“ finden uns ja scheisse. Zu Kommerz, zu dumme Frisuren , zu viel Tattoos, zu wenig Tattoos. Wie man es macht, man macht es nie allen Recht. Und das ist auch voll ok so für uns!

Frägen: Philipp